Der Killer im Lorbeer
im Auto essen.«
»Wieso? Die Pathologie ist um die Ecke.«
»Wir fahren nicht zur Pathologie.« Rosy hat es eilig.
Umständlich packt Ralph sein Brötchen in die Serviette. »Verrätst du es mir, oder muss ich raten?«
»Komm schon. Ich lade dich ein.« Sie läuft der Kellnerin entgegen.
Pflanzen sind Freunde. Die Freundschaft mit ihnen bedeutet Beständigkeit, Stille, lebenslange Verbundenheit. Wie behandelt man einen Freund? So, wie man hofft, selbst behandelt zu werden. Erwarte ich, von einem Freund mit Gift besprüht zu werden? Will ich, dass mein Freund das Beil erhebt und mir den Todesstreich versetzt? Nein. In Zeiten der Not hoffe ich, dass mein Freund mich aufrichtet, mir Lebensmut gibt, dass er meine Feinde bekämpft und mir Kraft gibt, sie selbst zu bekämpfen. Das erwarte ich von einem wahren Freund. Das darf mein Lorbeer von mir erwarten.
Ich hätte die alte Volvo-Batterie längst entsorgen sollen. Genau genommen hätte meine Werkstatt das beim letzten Service erledigen müssen. Aber die Batterie fand ihren Weg zurück aufs Schloss und lagert seither im Wintergarten. Nun soll sie mir noch gute Dienste leisten. Sie zu öffnen ist ein heikles Unterfangen. Ich führe es mit gefütterten Arbeitshandschuhen und Schutzbrille aus. Ein Stemmeisen, ein paar derbe Hammerschläge, und das Innenleben der Batterie liegt vor mir.
»Du bist der geborene Killer«, sage ich zu der öligen Flüssigkeit. Nach außen wirkt sie harmlos. Doch kaum fällt ein Schmutzpartikel hinein, schäumt es, oxidierende Bläschen bilden sich, schon hat sich das Teilchen aufgelöst.
»Warum habe ich deine Hilfe nicht früher in Anspruch genommen?«, frage ich.
Die Säure bleibt stumm.
Behutsam gieße ich die träge Flüssigkeit in den vorbereiteten Glasbehälter. Glas deshalb, weil ich die Vernichtung miterleben will. Der Todeskampf soll sich vor meinen Augen abspielen. Ich brauche die Säure nicht in ihrem hochprozentigen Zustand einzusetzen. Sie könnte jemandem das Fleisch vom Knochen lösen, könnte Gold und Silber zersetzen. Für den Lorbeerkiller ist eine schwache Dosis ausreichend. Ich setze der Säure Wasser zu, bis eine Molarität von 30 Prozent erreicht ist. Mehr als genug für ein Insekt.
Das Problem liegt nicht darin, dass der Schädling nicht zu töten wäre – eine einzelne Heuschrecke zerquetsche ich in meiner Hand. Einem Heuschreckenschwarm jedoch bin ich unterlegen. Mein Killer ist in Legionen angerückt, er hat sich in biblischem Ausmaß vermehrt. Ich stehe einer Übermacht von Hunderttausenden Parasiten gegenüber, vielleicht Millionen. Unablässig frisst der Killer den Boden, auf dem er krabbelt, den eigenen Untergrund. Bis nichts mehr übrig ist, worauf er laufen könnte. Dann stürzt er auf das nächste Blatt und macht dort weiter.
Vorsichtig trage ich den Glasbehälter ins Freie. Ich bin in feste Stiefel geschlüpft, in Pantoffeln zieht man nicht in den Kampf. Außerdem hat sich der zweite Plastikschuh nicht wiedergefunden.
Es ist ein langer Weg vom Wintergarten bis zum Buchentor, meine Hände in den Schutzhandschuhen schwitzen. Wie eine Monstranz trage ich das Gefäß vor mir her, die Säure schwappt in kleinen Wellen. Langsam, Schritt für Schritt. Unter dem Buchentor bleibe ich stehen.
»Hier bin ich«, begrüße ich den Feind. »Ich werde von hier nicht weichen, bis du verschwunden bist.« Ich spreche leise, und doch ist es ein Schlachtruf.
Vorhin habe ich einen Klappstuhl in den Lorbeergarten gebracht und vor dem vordersten Strauch abgestellt. Ich nehme Platz, die Säure am Boden zwischen meinen Beinen. Ich ziehe den Handschuh aus, hebe einen Zweig und betrachte die Kompanie der Läuse.
»Hier kommt Arthur«, zische ich.
Riesig nimmt sich meine Hand gegen die Läuse aus. Mit Daumen und Zeigefinger packe ich die erste und halte sie vor mein Auge. Ihre Beinchen zappeln in der Luft. Die Laus schaut mich an. Glanzlos und verschlagen sind diese Augen. Ich bemerke keine Angst. Sie will weiterfressen, sie fühlt sich von mir gestört.
»Nur einen Augenblick noch«, flüstere ich. »Gleich sollst du in der Hölle brennen.«
Ich halte die Laus über den Behälter und lasse los. Sie fällt nicht. Das Wachs klebt an meinen Fingern. Ich schüttle sie. Die Laus stürzt in den Kessel der Vernichtung. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel. Der Kampf Gut gegen Böse ist keine Illusion. Ich wohne ihm bei. Das Tier, das meinen Lorbeer fast besiegt hat, strampelt und windet sich, während es sich auflöst. Ein
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