Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
Woche eine Leiche vor die Tür getragen und provis o risch im Schnee verscharrt. Das Überleben der kleinen Kinder war so ung e wiss, erfuhr Marcus, dass es üblich war, einem Kind erst nach dem dritten überstandenen Wi n ter einen Namen zu geben.
Die Menschen versuchten der erstorbenen Natur an Nahrung abzugewinnen, was nur irgen d wie möglich war und geeignet schien, den Magen für eine kleine Weile zu beschäftigen. Ba u ern kratzten Rinde von den Bäumen um stundenlang darauf herum zu kauen. Flechten, Moose und Seetang wurden zu Suppen g e kocht, die eher zum Erbr e chen als zur Sättigung füh r ten. Marcus war sich sicher, dass sie alle zusammen umgekommen wären, wenn nicht eines Mo r gens der Kadaver eines kle i nen Wales am Strand unweit des Dorfes angespült worden wäre. Ein Junge, der nach den wenigen verbliebenen Muscheln und Seegras g e sucht hatte, fand das Aas, das schon einen deutlichen Geruch verströmte und rief die Dorfbewohner. Mit Me s sern und Beilen eilten alle herbei, um sch einen Teil von dem wenig appetitlichen Fund zu sichern. In ihrer Gier verschlangen einige der Leute Fetzen davon direkt an Ort und Stelle, ohne das Fleisch zuvor wenigstens zu garen. Die Folge waren Erbr e chen und schwere Durchfälle, doch die meisten waren so vernünftig, die Stücke zu kochen und nur wenig davon zu essen, bis sich ihre Mägen wieder an Nahrung gewohnt hatten. Das aasig schmecke n de Fleisch rettete sie über die nächsten zwei W o chen, in denen der Winter sich ein letztes Mal au f bäumte. Noch einmal warf der Himmel Massen von Schnee über das Land, die Temperaturen sanken, bis eines Nachts unvermittelt Tauwetter ei n setzte und ein starker Regen den Schnee innerhalb von zwei Tagen weggewaschen hatte.
Als wäre die Natur glücklich, das weiße Bahrtuch abg e schüttelt zu haben, zeigten sich bereits am nächsten Tag zarte grüne Triebe im Matsch der Umgebung. Die Sprossen durften jedoch nicht la n ge das Tageslicht g e nießen, da sie sofort und ohne Rücksicht auf ihren Geschmack von Menschen und Tieren gefressen wu r den. Doch die lange unte r drückte Natur schien einen unb e zähmbaren L e benswillen zu besitzen und trieb immer neues Grün. Eine kindische Laune b e mächtigte sich aller. Nac h dem die Toten im Schlamm beerdigt worden waren, herrschte eine allgemeine Hochsti m mung, die nur dem Glück entsprang, am Leben gebli e ben zu sein. Langsam fühlte Marcus wie se i ne Kräfte wiede r kehrten. Die N a tur brachte ihnen nach und nach immer neue Gaben, Fische, die langsam die tieferen Regionen der Seen verließen, um in die Netze der F i scher zu gehen, junge Hasen und Zicklein. Ma r cus meinte nie etwas Besseres gegessen zu haben.
Sein Dauerhusten besserte sich zwar nur wenig, aber er hatte sich fast schon daran gewöhnt. Vor allem in den frühen Morgenstunden schüttelten ihn immer wiede r kehrende Anfälle, die ihn ihn aus dem Schlaf rissen. In gewissem Sinne war er geradezu dankbar dafür, denn um diese Nachtstunden wurde er regelmäßig von Al b träumen heimgesucht, in d e nen er die Hinrichtung im Moor immer und immer wieder erlebte. Teils war er nur unbeteiligter Z u schauer, teils fühlte er sich bedroht und meinte s o gar die Schlinge um den eigenen Hals zu fühlen. Er hatte nur noch den Wunsch, so bald wie möglich dieses Land zu verlassen, ungeduldig wartete er auf den Tag, an dem der Boden sich wieder so weit g e festigt hatte, dass er und Pugnax den Heimweg a n tr e ten könnten.
Zwischenzeitlich inspizierte er wohl an die hundert Male ihren Karren, besserte an einigen Ste l len das Holz aus und verstärkte den doppelten Boden, um seine beiden Säckchen sicher zu verstecken. Eine Kiste wu r de im hinteren Teil des Wagens gezi m mert um den unsäglichen Bronzekessel aufzune h men, der nach dem Willen seiner Gastgeber das Geschenk an das Volk von Rom sein sollte.
Eines Morgens war es dann so weit. Der Kessel wurde aufgeladen, die Pferde eingespannt und Marcus und Pugnax machten die Runde im Dorf, um sich von allen zu verabschieden. Z u letzt gingen sie zum Langhaus. Der König und seine Mannen hatten sich vor dem Eingang versammelt, die Mä n tel der Krieger leuchteten wieder in den flammen d sten Farben, und das Weiß der Priester hob sich rein und hell dagegen ab. König B o jord, der es vo r zog sein Gefolge von seinem Reichtum künden zu lassen stand in seinen schlichten Mantel gehüllt in der Mitte der Versammlung. Marcus ging auf ihn zu und kniete nieder. Der König
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