Der Kinderdieb
Hand Gottes«, rief er mit angespannter Stimme. »Es ist unklug, sich dem Willen des Herrn zu widersetzen.«
Der Kapitän lachte. »Du bist nichts weiter als ein sadistischer Mistkerl.«
Der Prediger stieß einen Laut aus, der nach einer Mischung aus Würgen und Bellen klang, und seine gesunde Gesichtshälfte verzog sich zu einer mordlüsternen Grimasse.
Die Männer schoben sich durch die Hecken. Der Kapitän wusste, dass sie ihn jeden Moment attackieren würden. Mehr Männer betraten den Park, zogen ihre Schwerter und schlossen die Reihen.
Der Kapitän ließ sein Schwert durch die Luft sausen. »Ich kann es vielleicht nicht mit euch allen aufnehmen, aber denErsten, der auch nur in meine Nähe kommt, schlitze ich sofort auf. Wer von euch hat es so weit geschafft, nur um jetzt zu sterben?«
Die Männer zögerten. Niemand schien es besonders eilig zu haben, einen Versuch zu wagen. Sie waren sich sehr wohl über das Kampfgeschick des Kapitäns im Klaren.
Dann polterte Ochs heran und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Er bemerkte den Kapitän, spuckte aus, riss dem Nächstbesten das Schwert aus der Hand und kam auf ihn zu.
Der Prediger hielt eine Hand vor Ochs’ Brust, und der Hüne blieb stehen. »Kapitän«, sagte der Geistliche. »Du bist vom Pfad abgekommen, weiter nichts. Sei vernünftig und liefere die beiden aus, dann vergebe ich dir deinen Fehltritt.«
Der Kapitän stieß gegen Danny, und ein schneller Blick über die Schulter verriet ihm, dass sie an einem langen, rechteckigen Teich standen. Das Herz rutschte ihm in die Hose, als ihm klar war, dass sie in der Falle saßen.
Der Prediger begriff ebenfalls und grinste. »Kapitän, ich frage nicht noch einmal.«
Es war alles umsonst. Wir werden hier sterben, nach allem, was wir durchgemacht haben. Es ist so sinnlos
. Bittend blickte der Kapitän von einem Mann zum anderen. »Seid ihr alle blind? Es ist vorbei. Wir sind von der Insel runter. Schaut.« Er zeigte auf einen überquellenden Mülleimer. »Das hier ist
nicht
der Himmel. Hier wohnt kein Gott. Es gibt keinen …«
»NEIN!«
, brüllte der Prediger, und sein Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzerrt.
»NEIN, DU BIST DER BLINDE!«
Seine Stimme zitterte, und Speichel flog ihm von den Lippen. »Wir haben
nicht
für
nichts und wieder nichts
eine Ewigkeit im Fegefeuer verbracht! Irgendwo in diesem Reich wartet jetzt, genau in diesem Moment, Gott auf uns.« Er deutete auf Danny und die Dame. »Diese dunklen Seelen sind unser Wegzoll. Der Beweis für unseren unerschütterlichen Glauben und Eifer. Esist unsere Pflicht, diese Dämonen vor den Herrn zu führen und dann … und dann … unseren Platz an seiner Seite einzunehmen.« Seine Stimme versagte fast. »Ich
werde
meinen Platz an der Seite des Herrn einnehmen!«
Er ist endgültig dem Wahnsinn anheimgefallen
, dachte der Kapitän, und zu seinem Bedauern bemerkte er den gleichen Wahnsinn in den Augen der eilfertig nickenden Männer. »Gott steh uns bei«, sagte er, zog mit der freien Hand die Pistole des toten Schutzmanns aus dem Gürtel und richtete sie auf den vordersten Gegner. Die Männer brauchten einen Moment, um die Waffe zu erkennen, doch dann wirkten sie unsicher. Der Kapitän zielte auf das Gesicht des Predigers. Dessen gesundes Auge weitete sich. Es bereitete dem Kapitän maßloses Vergnügen, den Ausdruck äußerster Empörung auf dem Gesicht seines Widersachers zu sehen.
»DAS WAGST DU NICHT!«
, kreischte der Prediger.
»ICH BIN EIN STREITER GOTTES. ICH MARSCHIERE AN DER SEITE DES HERRN!«
»Du marschierst in den Reihen der Verdammten.« Der Kapitän drückte viermal den Abzug, und viermal knallte es ohrenbetäubend. Der erste Schuss ging weit daneben, der zweite bohrte sich dem Prediger in die Wange, der dritte erwischte sein blindes Auge, und der vierte traf ihn in die Stirn und ließ eine Gesichtshälfte des Predigers explodieren.
Einen Moment lang stand der Prediger da, und sein eines Auge starrte wütend geradeaus, dann sackte er in sich zusammen. Der Kapitän sah, dass der Hinterkopf des Geistlichen komplett weggerissen war. Für einen langen Augenblick starrten alle einfach nur auf das schwarze Hirn des Mannes.
Ulfger hörte die Sirenen in der Ferne und dachte an Dämonen, dann vernahm er das Lecken der Wellen am Schiffsrumpf und wagte es schließlich, den Kopf zu heben. Er schob den Leichnamseines Vaters beiseite und spähte zu den leuchtenden Türmen hinüber.
So viele Lichter
, dachte er.
Was kann das nur
Weitere Kostenlose Bücher