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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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Tisch hinweg nickte er einer großen Gestalt in einem langen, zerlumpten grauen Gewand zu. »Zurück von einem waghalsigen Ausflug in die Länder der Menschlinge, meine Damen und Herren, kein Geringerer als –
Tanngnost

    Der Troll, der nicht aussah, es ob er die Worte, mit denen Hiisi ihn vorgestellt hatte, besonders schätzte, erhob sich, und hier und da ertönte lustloser Applaus. Er schien mehr Tier als Mensch zu sein und war deutlich größer als die Elfen, sogar größer als jeder Mensch, den Peter bislang gesehen hatte. Gebückt, wie er war, wirkte er uralt, aber nicht gebrechlich, sondern stämmig wie ein Hirschbock. Er hatte große, mit Wollpelz besetzte Elchbeine, während sein Oberkörper dem eines Menschen ähnelte. Die sandfarbene Haarmähne hing ihm in dichten Strähnen über die Schultern und rahmte eine lange, ziegenartige Schnauze ein. Goldene, intelligente Augen spähten unter einer grobknochigen, vorstehenden Stirn hervor. Breite, gekrümmte Hörner wuchsen aus seinen Schläfen, und dicke Hauer ragten aus seinem Mund.
    Unter anderen Umständen hätte ein so beeindruckendes Geschöpf Peter ganz sicher Angst eingejagt, doch etwas ander Haltung dieses Wesens verriet Edelmut, sogar Kultiviertheit.
    Der Troll verneigte sich vor der Dame und räusperte sich. »Zu Diensten«, sagte er mit tiefer Baritonstimme. »Es ist wahrhaft eine Ehre, der holden Dame Modron aufzuwarten, der Tochter Avallachs, der großen Dame vom See, Göttin von …«
    »Ja, ja, fang nicht mit diesem Unsinn an«, sagte die Dame und wedelte mit der Hand, als wollte sie eine Fliege verscheuchen. »Versuch nicht, mir zu schmeicheln. Du willst etwas, sonst wärst du nicht hier, mein lieber Tanngnost. Und du willst mehr, als nur an unserem Mahl teilhaben, obwohl du dich, wie ich sehe, bereits durchaus gütlich getan hast.«
    Der Troll warf einen schuldbewussten Blick auf die fünf benutzten Teller, die vor ihm standen.
    »Was für schlechte Neuigkeiten bringst du diesmal?«, fragte sie. »Mach schon, heraus damit. Bringen wir es hinter uns.«
    Tanngnost neigte den Kopf. »Meine Dame, man soll den Überbringer schlechter Nachrichten nicht bestrafen.«
    »Das ist tatsächlich ein sehr weises altes Sprichwort«, warf Hiisi ein. »Es sei denn, der betreffende Überbringer ist ein Besserwisser, der sich ungefragt in anderer Leute Angelegenheiten einmischt und sie für seine Zwecke einzuspannen versucht.«
    Mehrere Tischgäste kicherten.
    Tanngnost bedachte die Dame mit einem langmütigen Blick. »Modron, wenn ich so kühn sein darf: Wie verlief der heutige Besuch bei Eurem Vater?«
    Schweigen senkte sich herab, und alle Blicke wandten sich der Dame zu.
    Ihre Miene verfinsterte sich.
    Tanngnost stieß einen betrübten Seufzer aus. »Ich verstehe.«
    Gedämpftes Murmeln erhob sich an den Tischen, und mehrere der Anwesenden begannen durcheinanderzureden.
    »Warum hat Avallach uns verlassen?«, rief der Eber mit lallenderStimme. »Warum jetzt, wenn wir ihn am dringendsten brauchen?«
    »Warum hört er uns nicht an?«, wollte ein Elf wissen.
    »Er ist tot«, rief ein kleiner grauer Mann mit Eselsohren.
    »Nein, nicht tot. Avallach kann nicht sterben, du Esel. Er ist einfach nur fort.«
    »Ohne seine schützende Hand sind wir verloren«, schrie jemand unter einem Tisch hervor.
    »Wir haben ihn erzürnt«, fügte ein grüner Mann mit Blättern statt Haaren verdrießlich hinzu.
    »Wir müssen ihn besänftigen.«
    »Ein lebendiges Opfer!«, rief eine Dame mit rosigen Wangen aus.
    Die kleinen, stämmigen Wesen hoben ihre Becher und prosteten zustimmend. »Blut, Blut, Blut.«
    »AVALLACH IST FORT!«,
sagte die Dame gebieterisch, und obwohl sie nicht laut sprach, übertönte ihre Stimme den Tumult. Sie stand mit blitzenden Augen auf, und ihr Schatten wuchs und verdunkelte die Halle. Sie sah zugleich schön und gefährlich aus, und einen Moment lang fürchtete Peter sich. Stille senkte sich über den Saal. »Es ist an der Zeit, dass wir das begreifen.« Sie blickte herausfordernd von einem Gesicht zum nächsten, doch niemand wagte es, ihr zu widersprechen. »Wir sind seine Kinder. Aber wollen wir ewig Kinder bleiben? Es ist an der Zeit, dass wir unseren Prüfungen allein die Stirn bieten.«
    Eine ganze Minute lang sprach keiner ein Wort.
    »Aye«, sagte der Eber, wobei er sich mit einer Hand am Tisch festhielt. »Das ist ja alles sehr weise, meine Dame, doch wo bringt uns das hin? Im Ernst, meine ich? Was sollen wir damit anfangen?«
    »Es bedeutet,

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