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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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weiß. Das konnte ich deinem Blick entnehmen.«
    Tanngnost stieß ein Seufzen aus. »Es sind üble Zeiten, meine Dame.«
    »Die Menschlinge?«
    »Christen. Sie sind wild entschlossen, all jene, die den Gehörnten verehren, vom Antlitz dieses Landes zu tilgen. Sie töten die Druiden, brennen die Tempel und manchmal ganze Dörfer nieder und stoßen die Menhire um.«
    Die Miene der Dame verhärtete sich. »Dieser Gott der Versöhnung und des Friedens findet offenbar großen Gefallen daran, das Land in Blut zu baden.«
    Ulfgers Augen leuchteten auf, und er beugte sich herüber. »Es ist an der Zeit, das Volk von Avalon in den Krieg zu führen! Jetzt, bevor es zu spät ist. Solange wir noch Verbündete in der Welt der Menschlinge haben.«
    Die Dame schaute ihn traurig an. »Ulfger, warum hast du es so eilig, deine Jugend hinter dir zu lassen? Du wirst früh genug die Last der Welt auf den Schultern tragen, und dann wirst du dich nach deinen Kindertagen zurücksehnen. Was ich nicht alles tun würde, um einen einzigen meiner sorglosen Jugendtage zurückzuerhalten.«
    Ulfger verzog das Gesicht. »Ich begreife nicht, was mein Alter mit alldem zu tun hat.«
    Peter blickte auf. »Die bösen Männer? Kommen sie hierher?«
    »Nein, Peter«, sagte die Dame. »Nicht hierher. Hier können sie nicht herkommen. Das würde ich niemals gestatten.« Sie drückte ihm einen Windbeutel in die Hand und setzte ihn auf den Boden.
    »Ulfger, tu mir einen Gefallen und bring diesen Jungen hier zu den anderen Kindern auf den Hof. Geh spielen.«
    Peter spitzte die Ohren. Hier gab es andere Kinder, mit denen er spielen konnte?
    »Ich bin keine Amme«, blaffte Ulfger.
    »Ich meine
dich
, Ulfger.
Du
sollst spielen gehen. Renn durch die Gegend. Bau etwas. Mach etwas kaputt. Klettere auf einen Baum. Mach dich schmutzig. Stell irgendwelchen Unsinn an. Amüsier dich.«
    Ulfger starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
    »Versuch’s einfach. Einmal. Für mich?«
    »Nein. Ich will von Tanngnosts Reisen hören.«
    »Du wirst beizeiten alles erfahren. Darum kümmert deine Mutter sich schon. Aber jetzt wünsche ich, dass du Peter auf den Hof bringst.«
    Ulfger rührte sich nicht von der Stelle, sondern starrte sie nur an.
    »Ulfger, bitte. Wir können uns später unterhalten. Ich verspreche es.«
    Er sah aus, als hätte ihm jemand ein Messer in die Eingeweide gebohrt. »Na schön«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Die Dame nahm den hochgewachsenen Jungen beim Arm. »Ulfger, ich hoffe bei Avallach, dass du aufwachst und erkennst, was diese Frau dir angetan hat. Ich wünsche mir, dass du es erkennst, bevor du deine Jugend ganz verloren hast.«
    Ulfger wandte sich ab und ging zur Tür. Peter schaute sich unsicher zur Dame um. Sie nickte, und er folgte dem Jungen aus der Halle.
     
    Peter holte Ulfger auf dem Gang ein. Der hochgewachsene Junge stand vor einem fein gewebten Wandteppich, den er betrachtete. Der Teppich zeigte einen massigen, herrschaftlichen Mann im Umhang, der ein langes schwarzes Schwert in der Hand hielt und einen Helm trug, aus dem ein großes Elchgeweih ragte. Der Helm verdeckte das Gesicht des Mannes, doch seine Augen leuchteten unter dem Visier hervor.
    Peter hörte die entfernten Rufe von Kindern, die von irgendwo weiter vorne an seine Ohren drangen. Er räusperte sich. »Äh … Ulfger.«
    Der Junge antwortete nicht. Sein Blick verlor sich in dem Bild auf dem Wandteppich.
    »Hallihallo, Ulfger«, rief Peter.
    »Du wirst mich als Lord Ulfger anreden«, sagte der Junge, ohne den Blick von dem Wandteppich zu lösen.
    »Lord Ulfger, können wir jetzt bitte spielen gehen?«
    »Das hier ist mein Vater«, sagte Ulfger. »Der Gehörnte. Er herrscht über den Wald.« Ulfger ging zum nächsten Wandteppich. »Und das … ist meine Mutter.« Er deutete mit einem Nicken auf das Bild.
    Eine Frau mit schmalem Gesicht und stechenden Augen starrte Peter entgegen. Er hatte das Gefühl, dass der Blick dieser Frau ihn durchdrang und ein Urteil über ihn fällte.
    »Königin Eailynn vom Elfengeschlecht der Norrenthal.«
    Peter meinte, einen höhnischen Unterton in der Stimme des Jungen zu erkennen, und er war sich nicht sicher, ob Ulfger die Königin verehrte oder verabscheute. Oder beides.
    »Meine Abstammung macht mich zu einem Lord.« Ulfger schaute zu Peter, als erwartete er etwas Bestimmtes von ihm. »Wenn ich erwachsen bin, werde ich über ganz Avalon herrschen.«
    »Klar. In Ordnung«, sagte Peter und nickte.

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