Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
in der Ecke hinter der Tür neben zwei Paaren, die den Wirt freundschaftlich begrüßt hatten und das ganze Essen hindurch ihre Umgebung lautstark mit Informationen über den Schärfegrad der verschiedenen Currys und Details über ihren geplanten Winterurlaub versorgten.
»Ich habe dich in Verlegenheit gebracht, stimmt’s?« Alison lächelte, während sie eingelegte Limetten auf ein Stück Papadam gab.
Patel schüttelte den Kopf. »Nein, wie denn?«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Mit meinem Aufzug hier.«
Der »Aufzug« war ein tief ausgeschnittenes cremeweißes Chenilleoberteil, das deutlich erkennen ließ, dass sie darunter keinen Büstenhalter anhatte. Dazu trug sie einen himbeerroten Hosenrock aus Baumwollsamt. Patel, in Hemd und Krawatte zu dunkelgrauer Hose, versuchte krampfhaft, nicht jedes Mal Stielaugen zu bekommen, wenn Alison sich vorbeugte, um sich etwas von der Platte zu nehmen.
»Überhaupt nicht«, sagte er.
Alison lachte, aber nicht spöttisch. »Meine Kolleginnen meinten, du würdest nach dem ersten Blick Reißaus nehmen. Oder mich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaften.«
Jetzt war es Patel, der lächelte. Nach den Maßstäben eines normalen Samstagabends in der Stadt war sie durchaus konservativ gekleidet.
»Ihr habt jemanden festgenommen, nicht? Ich habe es in den Nachrichten gehört.«
»Ja, wegen des Mordes an dem kleinen Mädchen.«
»Ich dachte, es wären zwei«, sagte Alison. »Zwei Mädchen.«
Der Kellner drängte sich mit ihrem Chicken Tikka und dem Shami Kebab zwischen den Tischen durch.
»Bis jetzt wird ihm, soviel ich weiß, nur der erste Mord zur Last gelegt. Wie das mit dem zweiten Fall ist, weiß ich nicht.«
»Aber er war es?«
Patel nickte dem Kellner dankend zu und merkte, dass ihre lauten Nachbarn plötzlich still geworden waren und die Ohren spitzten.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich hatte nicht so viel mit der Sache zu tun. Mein Gott, diese Mengen Chicken Tikka, die du da hast, das schaffst du nie.«
Stephen Shepperd lag auf einer dünnen Matratze in der Polizeizelle. Acht Stunden Ruhe ohne Unterbrechung, ohne Vernehmungen, ohne herumgeschoben zu werden. Immer wenn der Aufsichtsbeamte zur Tür hineinschaute, wälzte sich Shepperd unter seiner verhedderten Decke, rastlos in seichtem Schlaf.
»Und was meinen Sie, Charlie, war das Reue bei ihm?«
Resnick seufzte. Seit der Gedanke an den Teppich der Shepperds ihn aus dem Bett getrieben hatte, war er fast sechzehn Stunden ununterbrochen auf den Beinen. »Oh, ja, der bereut. Und trotzdem versucht er, die Schuld abzuwälzen.«
»Wie denn?«
»Ach, Sie wissen schon, so schön, so bezaubernd, ich musste sie einfach anfassen. Wie sie gelächelt hat, überhaupt nicht wie ein kleines Mädchen. Immer hat sie gelächelt, immer wollte sie an meiner Hand gehen. Als hätte sie ihn dazu angestachelt.« Er schauderte und schlug mit der Faust gegen die Seite von Skeltons Schreibtisch. »Er will ihr die Schuld zuschieben. Einer Sechsjährigen. Der Mann ist doch völlig krank.«
Skeltons Schwiegervater war längst eingetroffen, samt Blasenkatheter, Urinbeutel und neuem dreiteiligen Anzug aus Donegal-Tweed; dreimal hatte seine Frau schon angerufen, um sich zu erkundigen, wann er nach Hause käme. »Und über die kleine Morrison haben wir immer noch nichts?«, fragte Skelton.
Resnick schüttelte den Kopf. »Er behauptet weiterhin, nichts von ihr zu wissen. Jedenfalls nichts über das hinaus, was er uns bereits gesagt hat, dass er sie oberflächlich kennt.«
»Glauben Sie, er wartet einfach ab, bis wir auch da Beweise finden?«
»Möglich. Entweder das oder er sagt die Wahrheit.«
Skelton war aufgestanden. Er nahm sein Jackett vomBügel an der Tür. »Charlie, sehen Sie sich noch einmal an, was wir bis jetzt haben. Sehen Sie sich die Fakten an. Die Chancen, dass er nicht auch die andere Kleine auf dem Gewissen hat, sind nahe null.«
»Es tut mir leid«, sagte Lynn Kellogg, »wir wissen immer noch nichts Neues von Emily. Wir geben Ihnen Bescheid, sobald sich etwas tut.«
Michael und Lorraine schienen Lynn kaum wahrzunehmen, erschöpft und tränenleer starrten sie an ihr vorbei in die Nacht.
»Raymond, Wahnsinn, wie viele hast du schon getrunken?«
»Was geht dich das an? Nur weil du den ganzen Abend an deinem Brausebier nuckelst?«
Es war ihr zweites, aber Sara widersprach ihm nicht; sie wusste nicht, was in Raymond gefahren war, aber es hatte eindeutig keinen Sinn, sich mit ihm zu streiten. Er hatte
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