Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
…«
»Hören Sie auf.«
»Sonst hätten wir keine Hautpartikel …«
»Nein, bitte nicht.«
»… unter ihren Fingernägeln gefunden.«
»Nein! Nein, nein, o Gott, o Gott, nein, nein, bitte. Nein.« Shepperd stieß sich vom Tisch ab, drehte sich auf seinem Stuhl zur Seite, stürzte sich auf seinen Anwalt und umklammerte ihn, während seine Worte zu einer undefinierbaren Folge von Schreien und Jammerlauten zerflossen.
Erschrocken und peinlich berührt schien der Anwalt Shepperd mit einer Hand wegzuschieben und ihn mit der anderen festzuhalten. Über Shepperds Schulter sah er Resnick hilfeflehend an.
»Graham«, sagte Resnick.
Millington ging um den Tisch herum und klopfte Shepperd leicht auf die Schulter, sehr bedacht darauf, ihn jetzt sanft zu behandeln, da jeder Verdacht auf Nötigung unter allen Umständen vermieden werden musste.
Erst als Shepperd wieder aufrecht auf seinem Stuhl saß, seine Kleider geordnet waren und sein Atem beinahe wieder normal ging, sagte Resnick, der ihm gegenübersaß, leise: »Möchten Sie es uns nicht sagen, Stephen? Glauben Sie nicht, es ginge Ihnen besser, wenn Sie das tun könnten?«
Und zu Resnicks Entsetzen fasste Stephen Shepperd seine Hand und hielt sie ganz fest, als er sprach, so leise wie Resnick.
»Ja«, sagte er. »Ja.«
47
»Verdammte Scheiße, Ray! Bist du eingepennt da drinnen?«
»Hat mal wieder die Pinzette rausgeholt und versucht, seinen Schwanz zu finden.«
»Los, Raymond, jetzt lass uns auch mal ran. Es ist Samstagabend, verdammt noch mal.«
Zurück in seinem Zimmer stieg Raymond in seineschwarze Jeans und stopfte sein Hemd hinein, bevor er den Reißverschluss hochzog. Mit noch offenem Hemd sprühte er erneut unter den Armen. Geld in der Hüfttasche, Schlüssel. Ehe er ging, zog er vorn das Hemd ein Stück hoch, sodass es lose über seine Taille fiel. Wie jemand, der immer wieder mit der Zunge einen schmerzenden Zahn berühren muss, drückte er seine Fingerspitzen dicht an die Nase. Nichts konnte den schwach süßlichen Geruch frischen Bluts, rohen Fleisches vertreiben.
In flachen Schuhen und einem schwarzen Rock, der lange nicht bis zum Knie reichte, kam Sara aus dem Laden. Unter ihrem Mantel, bemerkte Raymond, leuchtete eine weiße Bluse. Da waren sie ja heute Abend im Partnerlook.
Er wartete in einem Hauseingang jenseits der breiten Schneise der Fußgängerzone: Sara redete noch mit zwei Kolleginnen, die eine mit der Zigarette schon in der Hand, die andere eben dabei, sich eine anzuzünden, während sie sprach. Gerade als Raymond anfing, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen zu treten, gingen die anderen beiden Arm in Arm in Richtung Innenstadt davon. Sara wartete einen Augenblick. Sie nahm erst Notiz von Raymond, als er aus dem Hauseingang trat und auf sie zuging, die Hände in den Hosentaschen.
»Was liegt an?«, fragte er.
»Nichts. Warum?«
Raymond zuckte mit den Schultern. Sie standen nahe beieinander, in entgegengesetzte Richtungen gewandt, zu beiden Seiten waren Bewegung und Trubel, Gruppen von Jugendlichen, gerade aus den Vorstädten und Nachbarorten eingetroffen, zogen vom Bahnhof kommend an ihnen vorbei. Samstagabend.
»Also, worauf hast du Bock?«, fragte Raymond.
»Keine Ahnung.«
Wieder einige Augenblicke schweigender Unschlüssigkeit. Ein Junge von höchstens fünfzehn, von seinem Freund gestoßen, rempelte Raymond an, und Raymond fuhr wütend herum. »Pass gefälligst auf, du Arschloch.« Der Junge wich zurück, versuchte lachend zu beschwichtigen. »Tut mir leid, Kumpel. Ehrlich.« Jetzt lag Furcht in seinem Blick. Seine Freunde scharrten sich um ihn und nahmen ihn mit sich fort.
»Raymond, was sollte das? War doch nur aus Versehen.«
»Ich lass mich doch von dem nicht rumschubsen«, sagte Raymond. »Dieses Arschloch. Der soll bloß aufpassen.«
»Wie ist denn dieser Junge?«, hatte Saras Mutter gefragt. »Du hast uns nicht viel von ihm erzählt.«
»Hast du Hunger?«, fragte Raymond.
Sara blickte zu HMV hinüber, im Fenster hingen die Poster für das neue George-Michael-Album. Das würde sie sich vielleicht am Wochenende holen, wenn ihr Geld reichte. »Nein«, antwortete sie. »Eigentlich nicht.«
»Dann komm.« Raymond ging los. »Trinken wir was.«
Der Erdgeschossraum des Restaurants war klein und schon ziemlich voll, sodass die Kellner neue Gäste fragten, ob sie etwas dagegen hätten, oben zu sitzen, oder ob sie es lieber in einer oder anderthalb Stunden noch einmal versuchen wollten. Patel und Alison saßen
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