Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
hoch, um sich zu schützen, trat gleichzeitig mit den Füßen und versuchte, zu entkommen. Unten auf dem Boden lag der Junge, die Hände auf dem Gesicht, und heulte und schrie.
»Schluss jetzt«, sagte Patel, ergriff den nächststehenden Jugendlichen beim Arm und zog ihn weg. »Schluss damit.«
»Verpiss dich, Paki«, schrie der Junge und versetzte Patel einen Schlag auf die Schulter.
»Genau, verpiss dich.« Sie umringten ihn.
»Ich bin Polizist«, konnte Patel gerade noch rufen, bevor Raymond sich auf ihn stürzte. Unter der Gewalt des Angriffs taumelte Patel zurück, sackte zu Boden, und das Messer, das Raymond noch in der Hand hielt, durchtrennte neben seinem Kinn die Halsschlagader.
Blitzschnell waren alle Jugendlichen verschwunden. Allein lag Patel auf dem Boden, und Alison starrte hilflos zu ihm hinunter, während sich sein Blut, das bis an ihre Schuhe und Hose gespritzt war, zwischen den Pflastersteinen sammelte. Am Rand der Menschenmenge, die sich langsam bildete, rappelte sich Sara mit aufgeschürften Knien auf, wandte sich ab und übergab sich in die vorgehaltenen Hände.
48
Resnick war immer noch wie betäubt. Er hatte den Leichnam gesehen und konnte es dennoch kaum glauben. »Constable mit Messer erstochen. Polizist bei Schlägerei getötet.« Die Schlagzeilen der Sonntagszeitungen schienen ihm vom Rücksitz seines Wagens entgegenzuschreien. »Constable Diptak Patel vom CID wurde gestern Abend von einem tödlichen Messerstich getroffen, als er eine brutale Schlägerei unter bewaffneten Jugendlichen schlichten wollte. Constable Patel, der zu diesem Zeitpunkt außer Dienst war …«
Seit den Frühausgaben hatten sich die Titelseiten geändert: Berichte darüber, dass Stephen Shepperd nun wegen Mordes unter Anklage stand, waren auf die zweite Seite gerückt. In den Feuilletons konkurrierten Artikel über denAnstieg der Gewalt und den Niedergang der Städte mit psychologischen Beschreibungen von Männern, die am ehesten zur Pädophilie neigen.
»Warum? Warum? Warum?«, hatte Patels Mutter im Krankenhaus immer wieder mit tränenerstickter Stimme gefragt. »Warum musste jemand meinem Sohn das antun?«
»Hör auf!«, hatte ihr Mann geschrien und sie mit der Heftigkeit seines Zorns zum Schweigen gebracht. »Hör sofort auf! Wir wissen, warum, wir alle kennen den Grund.«
Nein, dachte Resnick, so leicht ist nichts erklärt; nicht, was Patel zugestoßen ist, und nicht, was Gloria Summers zugestoßen ist; weder, was Shepperd zu dem gemacht hat, der er war, noch, was den Jungen geformt hat, der aus Ignoranz und Furcht mit einem Messer in der Hand auf einen anderen Menschen losgegangen ist. Er merkte, dass er die Abzweigung verpasst hatte, fuhr bis zum Ende der Straße und wendete. Der Bungalow mit Rauverputz lag einen Block weiter rechts.
Er saß mit Edith Summers auf der Promenade und blickte zur Nordsee hinaus, die so grau war wie die Halsfalten eines alten Mannes. Was sie in den Lokalen vorn am Meer verlangten, sei Raubritterei, hatte Edith gesagt, und sowieso seien um diese Jahreszeit die meisten von ihnen geschlossen. So saßen sie nun also hier, dick eingepackt gegen die Kälte, und tranken Tee aus der Thermosflasche.
»Es war sehr freundlich von Ihnen, persönlich herzukommen und mit mir zu reden«, sagte Edith. »Nicht jeder würde das tun.«
Resnick musste sich hastig abwenden, fürchtete Tränen.
»Hat er Ihnen gesagt«, fragte Edith stockend, »warum er Gloria nach dem, was er ihr angetan hat … warum er ihr da auch noch das Leben nehmen musste?«
… plötzlich war da dieses Schreien, und zuerst wusste ichgar nicht, ich meine, ich wollte ihr doch nicht wehtun, das war das Letzte auf der Welt, wirklich, ich wollte ihr nicht wehtun, aber sie hat mich angestarrt und geschrien, und, mein Gott, ich wollte ihr nicht wehtun, ich schwöre es, ich schwöre es. Ich wollte sie beruhigen, ich hatte Angst, jemand würde was hören, aber sie hat nicht aufgehört, sie hat immer weiter geschrien, immer weiter, und …
»Ich glaube, er hat die Kontrolle verloren«, sagte Resnick. »Ich glaube, er hat die anderen kleinen Mädchen vorher immer nur beobachtet, vielleicht auch einmal angefasst, aber er hat nichts, na ja, nichts wirklich Schlimmes getan. Und als ihm aufging, was er dieses Mal getan hatte, war er, glaube ich, furchtbar erschrocken und schämte sich. Und er hatte Angst, was Gloria sagen und tun würde, wem sie es erzählen könnte.«
»Das hört sich fast an, als täte er Ihnen leid«, sagte
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