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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Sirenengeheul eines Rettungswagens auf dem Weg ins Krankenhaus waren nur die Stimmen der Kinder zu hören, die draußen auf dem Gehweg spielten.
    Shepperd sah jedes Mal, wenn die Befragung wiederaufgenommen und das Aufzeichnungsgerät wieder eingeschaltet wurde, ein Stück älter aus. Der aggressive Ausbruch am Vortag schien so etwas wie ein letztes Aufbegehren gewesen zu sein. Hin und wieder kam es noch zu kleineren Eruptionen, wenn seine Stimme anschwoll, als hätte eine ganz bestimmte Andeutung ihn fürchterlich beleidigt; sonst antwortete er mürrisch, mit gesenktem Kopf, nicht bereit, den Polizeibeamten in die Augen zu blicken.
    »Wie haben Sie sie überredet, mit Ihnen zu gehen?«, fragte Resnick. »Haben Sie gesagt, ihre Lehrerin sei da? Ja, war es so?«
    Shepperd bewegte leicht den Kopf; die Hände hingen wieder zwischen seinen Beinen herab, die Handgelenke waren zwischen den Knien eingeklemmt.
    »Mrs Shepperd hat mir aufgetragen, dich zu holen, dich zum Tee zu uns einzuladen. War es so?«
    Resnick konnte es sich vorstellen: Das kleine Mädchen sieht sich unschlüssig nach seiner Großmutter um. Shepperd beruhigt sie: »Mach dir keine Sorgen wegen deiner Oma, ich komme gleich wieder her und hole sie auch.« Oder: »Suchst du deine Oma? Die ist schon da, bei uns zu Hause.«
    Stephen Shepperd hob den Blick und drehte den Kopf zu Millington, der ihn voller Verachtung anstarrte, so wie seine Frau ihn zuvor angestarrt hatte. War das erst heute Morgen gewesen? Es konnte doch unmöglich derselbe Tag sein.
    »Womit haben Sie sie gelockt, Stephen? Cremetörtchen? Eis? Sagen Sie mir jetzt nicht, dass es so etwas Banales wie Bonbons war.«
    »Hören Sie …«
    »Ja?«
    »Nichts von dem, was Sie hier sagen, nichts davon ist jemals passiert.«
    »Stephen«, sagte Resnick, »ich glaube nicht, dass es hier in diesem Raum einen Menschen gibt, der Ihnen das noch abnimmt.«
    Shepperd strich sich mit den Händen über das Gesicht. Er wandte sich seinem Anwalt zu, und der wandte sich ab. Dies war nicht seine Welt, hier war er verloren, drüben in Stoke würde er jetzt in einem Seminar über ›Bennett und das Gefühl für den richtigen Ort‹ sitzen und sich auf die bevorstehende Vorführung von ›Der Unwiderstehliche‹ freuen, auf diesen wunderbaren Augenblick am Ende, wenn Alec Guinness endlich Glynis Johns’ manieriertes Getue durchschaut und sich für den frischen und einfachen Charme Petula Clarks entscheidet.
    »Es ist natürlich möglich«, sagte Resnick, »dass sie die Kleine zuerst woandershin gebracht haben, zumal wenn Sie mit dem Wagen unterwegs waren, aber früher oder später mussten Sie sie mit nach Hause nehmen. In Ihr Wohnzimmer. Mit dem Teppich. Und dem Läufer.«
    »Nein. Sie können nicht, das können Sie nicht …«
    »… beweisen? Stephen, der Befund des Polizeilabors wird uns in diesem Moment zugefaxt.«
    Sehr langsam hob Stephen Shepperd den Kopf, bis er zum ersten Mal seit Langem Resnick direkt ins Gesicht blickte.
    »Es geht ja nicht nur um die Fotografien, die wir heute Morgen mitgenommen haben. Wir haben noch mehr Material: aus dem Keller zum Beispiel, und aus dem Auto.«
    »Aus dem Auto?«
    »Aus dem Kofferraum, ja.«
    Spätabends, nachts musste es gewesen sein, ja, da hatte er das tote Kind hinausgetragen, eingewickelt in diesen karierten Läufer, und es in den bereits geöffneten Kofferraum gelegt.
    »Sie haben ihn sehr gründlich sauber gemacht, sicher mit dem Staubsauger. Trotzdem sind ein paar Fasern in die Vertiefung hineingeraten, wo der Ersatzreifen liegt.«
    Oh, jetzt zollte Shepperd ihm volle Aufmerksamkeit, er hing förmlich an seinen Lippen.
    »Fasern von dem Läufer, Stephen, dem Läufer mit dem rot-grünen Schottenmuster.«
    »Ja, klar. Logisch. Ich dachte, das hab ich Ihnen gesagt. So hab ich ihn doch zur Müllkippe gebracht. Im Kofferraum.«
    »Später, Stephen, ja, das glaube ich Ihnen unbesehen.«
    »Später? Ich verstehe nicht.«
    »Als wir Glorias Leiche fanden, Stephen, in der Kälte dieser alten Eisenbahnhalle, in Müllsäcke und Plastik verpackt, ganz allein mit den Ratten, fanden wir auch noch einige andere Dinge. Fasern zum Beispiel, rot und grün, von einem Läufer.«
    Es sah aus, als würde der wie rasend zuckende Nerv neben Shepperds Auge jeden Moment die Haut sprengen.
    »Nur wenige, Stephen, nur ein paar, aber genug für eine Vergleichsanalyse. Ein Glück für uns, dass Gloria sich gewehrt hat, ein Glück, dass sie gekämpft und zu entkommen versucht hat

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