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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Raunen ging durch den Saal, und einige Mitglieder der
Kongregation wiegten nachdenklich die Köpfe.
    Â»Außerdem«, fügte Kardinal Xing hinzu, um die Keimlinge der
Zustimmung mit einem weiteren Argument zu kräftigen, »ist es denn unseres
Amtes, nach äußerem Augenschein das Leben eines Menschen zu beurteilen? Sollten
wir uns nicht vielmehr bemühen, seine Taten auch als Manifestationen der
göttlichen Vorsehung zu begreifen? Vergessen wir nicht: Selbst der Verräter
Judas Ischarioth hat zum Erlösungswerk des Heilands beigetragen!«
    Das Raunen schwoll abermals an, und manches Haupt, das sich eben
noch unschlüssig gewiegt hatte, nickte. Die älteren Brüder erinnerten sich
vermutlich wie ich jenes spektakulären Falles, über den zu verhandeln vor über
zwanzig Jahren ein Franziskanerpater deutscher Herkunft die Kongregation
aufgefordert hatte: die Seligsprechung des Apostels, durch den Jesus Christus
in die Hände seiner Häscher gefallen war.
    Ich selber ertappte mich dabei, wie ich die Worte murmelte, mit
denen damals der Postulator seinen Antrag begründet hatte: »Ohne Judas kein
Kreuz, ohne das Kreuz keine Erfüllung des Heilsplans …«
    Doch Bischof Mortimer gab sich so schnell nicht geschlagen. »Und das
Wunder, das Benedikt IX . gewirkt haben soll?«
    Â»Sie haben alles Recht, diese Frage zu stellen«, räumte Jiao Xing
mit der gebotenen Ernsthaftigkeit ein. »Wir haben in diesem Fall tatsächlich
weder Zeugnis von einer Bilokation noch von einer Spontanheilung. Dennoch
zögere ich nicht, von einem Wunder zu sprechen – dem vielleicht größten Wunder
überhaupt.«
    Â»Aber was soll dieses Wunder sein?« Bischof Mortimers Stimme
schnappte vor Erregung fast über.
    Statt einer Antwort gab Kardinal Xing einem Schweizer Gardisten ein
Zeichen. Eine Tür ging auf, und herein kam ein Bibliothekar mit einem Rollwagen
voller versiegelter Akten.
    Â»Dieses Konvolut«, erklärte Kardinal Xing, »ist bei Inventarisierungsarbeiten
im Geheimarchiv des Vatikans unserem neuseeländischen Freund Professor Goalman
in die Hände gefallen. Es enthält die Antwort auf die Frage Bischof Mortimers.«
Kardinal Xing machte eine Pause und blickte mit seinen kleinen, intelligenten
Augen in die Runde. »Wer von Ihnen ist bereit, nach den Bestimmungen von
Paragraf 1999 bis 2141 des Codex Iuris Cononici aus
diesen Akten einen Auszug herzustellen, damit die Kardinalreferenten Seiner
Heiligkeit entscheiden können, ob die Eröffnung eines apostolischen Prozesses
zur Seligsprechung von Papst Benedikt IX . angezeigt
erscheint oder ob wir besser daran tun, ein solches Verfahren für nichtig zu
erklären?«
    Neugierig geworden, schaute ich auf das Konvolut uralter, verstaubter
Dokumente, die seit fast einem Jahrtausend wohl keine menschliche Hand mehr
berührt hatte: Zeugnisse eines längst erloschenen Lebens – im ewigen Ringen
zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis, Erlösung und Verdammnis.
    Welche Wahrheit würden sie zutage fördern?
    Ohne die Folgen meines Tuns zu bedenken, hob ich die Hand.
    Â»Monsignore Silvretta?« Alle Augen richteten sich überrascht auf
mich, als der Vorsitzende, Kardinalpräfekt Contadini, meinen Namen nannte.
Schließlich stand ich im Ruf, ein entschiedener Gegner jedweden Wunderglaubens
zu sein. »Dann möchte ich Sie bitten, sich hier in unserem Beisein von der
Unverletztheit der Siegel zu überzeugen.«
    Während der Bibliothekar sich mit dem Rollwagen näherte, fügte ich
mich mit einem Seufzer in mein selbstgewirktes Schicksal und tat, wie mir
geheißen.
    Â»Cum deo …«
    Noch am selben Abend trafen die Unterlagen in meiner Privatwohnung
ein, und ich machte mich an die Arbeit …



ERSTES KAPITEL: 1021–33
    GOTTESZEICHEN
    1
    Noch war alles still an diesem herbstlich kühlen Morgen. Nur heiliges
Schweigen erfüllte die Welt, während über der Burg Tuskulum, dem mächtigsten
Kastell in den Albaner Bergen südlich von Rom, allmählich die Sonne aufging, um
mit ihren wärmenden Strahlen den Tau von den Blättern der Bäume und den Zinnen
der Türme zu trocknen.
    Da gellte ein Schrei in der lautlosen Stille, und schwarze Vögel
flatterten kreischend in den blassblauen Himmel auf, als wollten sie dem Drama
von Leben und Tod entfliehen, das sich hinter den Mauern der Burg vollzog. Denn
dort, im

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