Der Kinderpapst
Innern der jahrhundertealten Festung, die sich inmitten schwarzgrün
bewachsener Wälder auf einer einsamen Anhöhe erhob, lag im zerwühlten Bett
ihrer Kemenate Contessa Ermilina, Gräfin von Tuskulum, seit einem Tag und einer
Nacht in den Wehen.
»HeiÃes Wasser! Und bring mir die Zange!«
Wie aus weiter Ferne drangen die Anweisungen der Hebamme an
Ermilinas Ohr, als würde der Schmerz, der in immer neuen Wellen von ihrem Leib
Besitz ergriff, ihre Sinne betäuben, während sie den Blick Hilfe suchend auf
das Lamm Gottes richtete, dessen Bildnis zum Schutz vor dem Kindbetttod ihr
gegenüber an der Wand angebracht worden war. Drei Söhne hatte sie bereits
geboren, und sie hätte nie gedacht, noch einmal niederzukommen. Sie war mit
ihren sechsunddreiÃig Jahren doch viel zu alt, um von einem Mann zu empfangen,
seit einer Ewigkeit hatte sie keine Blutung mehr gehabt. Aber der Einsiedler
Giovanni Graziano, ein heiligmäÃiger Mann, der einsam in den Wäldern hauste und
ihr die Beichte abnahm, hatte ihr das Wunder gedeutet: Ihre Schwangerschaft sei
ein Zeichen Gottes, wie es einst die Schwangerschaft der Stammesmutter Sarah
gewesen sei, Abrahams Frau. Ihr Kind sei darum ein besonderes Kind, es sei
Gottes Wille und Beschluss, dass sie es zur Welt bringe â ad
maiorem dei gloriam .
»Ich kriege den Kopf nicht zu fassen! Es liegt verkehrt rum im
Bauch!«
Wieder krampfte sich Ermilinas Leib zusammen, in einer Woge aus
Schmerz, als wolle er das fremde, kostbare Wesen, das im Dunkel ihrer Gedärme
nistete, wie ein Katapult aus sich heraus schleudern. Doch wieder staute sich
die Woge an einer unsichtbaren Wand, türmte der Schmerz sich in ihrem Innern
auf, um sich in einer Sturzflut zu brechen und durch die Adern bis in die
letzte Faser ihres Körpers zu strömen. Würde sie diese Geburt überleben?
Die Hebamme schob ihre Oberschenkel noch weiter auseinander und
drückte mit beiden Händen gegen ihren Unterbauch. »Es muss zurück, damit ich es
drehen kann!«
Ermilina spürte, es war ein Kampf zwischen ihr und dem Kind. Noch
halb gefangen in ihrem Leib, halb schon bei den Engeln, flüsterte sie die Namen
aller Schutzpatrone, die sie kannte, griff nach dem Gürtel, den Giovanni
Graziano ihr geschenkt hatte, den Gürtel der Heiligen Elisabeth, der ihr die
Geburt erleichtern sollte, und hielt ihn mit ihrer ganzen Kraft. Gott liebt dieses Kind ⦠Es soll dermaleinst sein Werkzeug sein â¦
Es ist von der Vorsehung auserwählt ⦠Wie Traumfetzen schossen die Worte
des Einsiedlers ihr durch den Kopf, Botschaften aus einer anderen Welt, aus
denen sie Kraft schöpfen konnte, während das neue Leben in ihr das alte Leben
schröpfte und verzehrte.
Was hatte Gott mit diesem Kind vor, dass er ihr ein solches
Martyrium auferlegte?
Durch einen roten Schleier sah Ermilina, wie die Hebamme nach der
Spritze griff, die bereits mit Weihwasser gefüllt war, damit ihr Kind noch im
Mutterleib getauft werden konnte, falls es zu sterben drohte. Voller Entsetzen
formte Ermilina ihre Lippen zum Gebet.
»Ich flehe dich an, Herr ⦠Nimm mein Leben im Tausch für mein Kind â¦Â«
Auf einmal war es so still, dass sie ihren eigenen Atem hörte.
Erschöpft schloss sie die Augen, und für einen wunderbaren Moment schien jeder
Schmerz erloschen. Hatte der Herr ihr Gebet erhört und nahm ihr Opfer an?
Obwohl sie am ganzen Leib schweiÃnass war, fror und zitterte sie so sehr, dass
die Adlersteine in der Amulettkapsel, die die Hebamme ihr ans Handgelenk gebunden
hatte, um ihre Schmerzen zu lindern, leise klapperten und ihre Zähne wie im
Schüttelfrost aufeinander schlugen.
»Wenn das Kind überlebt â wie soll es heiÃen?«
Ermilina schlug noch einmal die Augen auf und sah in das fragende
Gesicht der Hebamme. Unter Aufbietung ihrer letzten Willenskraft unterdrückte
sie das Schlagen ihrer Zähne, um Antwort zu geben.
»Teofilo â¦Â«, flüsterte sie. »Der, den Gott lieb hat â¦Â«
»Und wenn es ein Mädchen ist?«
Ermilina schüttelte den Kopf. »Es ist ein Junge ⦠Ich weià es ⦠Und
er soll Teofilo heiÃen â¦Â«
Mit dem Namen ihres Sohnes auf den Lippen, den Blick auf das Lamm
Gottes gerichtet, schwanden ihr die Sinne, und sie sank in Ohnmacht.
2
»Wie kann das sein, dass Wein sich in Blut verwandelt?«, wollte
Teofilo wissen. »Und warum wird
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