Der Kinderpapst
plötzlich Brot, das wir zur Suppe essen, zum
Leib Christi?«
»Das ist das Geheimnis des Glaubens«, erwiderte Giovanni Graziano.
»Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir. Bis du
wiederkommst in Herrlichkeit.«
»Ich weiÃ, das sagt auch Don Abbondio in der heiligen Messe. Aber
könnt Ihr mir nicht zeigen, wie es passiert ? Ich
würde es so gerne sehen !«
Giovanni Graziano blickte ihn streng an. »Hast du das Beispiel des
heiligen Thomas vergessen?«
Teofilo senkte beschämt den Kopf. Er wusste, warum sein Taufpate ihm
die Frage stellte. »Ihr meint â wegen der Wundmale?«
»Richtig«, nickte Giovanni Graziano. »Der heilige Thomas wollte auch
nicht glauben, dass der Herr ans Kreuz geschlagen und wiederauferstanden war.
Bis er mit eigenen Augen die Wundmale sah und sie mit eigener Hand tastete. Was
also lernen wir daraus?«
Teofilo brauchte nicht lange nachzudenken, um Antwort zu geben.
»Dass wir nicht nur glauben sollen, was wir sehen, sondern vor allem das, was
Jesus Christus sagt.«
»Siehst du?« Sein Pate strich ihm über das Haar. »Wie alt bist du
jetzt, mein Sohn?«
»Sechs Jahre, ehrwürdiger Vater.«
»Meinst du nicht, dass du deinen Wissensdurst dann noch ein wenig
bezähmen solltest? Die heilige Wandlung ist schlieÃlich das erhabenste Wunder,
das Gott für uns gewirkt hat.«
Wie jeden Samstag war Teofilo mit seinen Brüdern am frühen Morgen zu
Giovanni Grazianos Einsiedelei gewandert. Schon Tage im Voraus fieberte er
diesem allwöchentlichen Ereignis entgegen â so begierig war er auf die
Unterweisung im Glauben durch seinen Taufpaten, der mit der hageren Gestalt,
dem weiÃen, schulterlangen Haar und den pechschwarzen Augen aussah wie Johannes
der Täufer auf dem Altarbild der Burgkapelle. Ihn liebte und bewunderte Teofilo
mehr als seinen eigenen Vater, den mächtigen Grafen von Tuskulum, für den er
eher Respekt, vor allem aber Furcht empfand. Obwohl Giovanni Graziano weder
lesen noch schreiben konnte, stand er im Ruf, ein wahrer Mann Gottes zu sein â
eine Lilie unter Dornen. Angeblich hatte Gott sich ihm bereits in seiner Jugend
zu erkennen gegeben, als er ihm befohlen hatte, sein Elternhaus zu verlassen,
um dem Beispiel Jesu Christi zu folgen und als Eremit der Welt für immer zu
entsagen. Graziano hatte die Einsiedelei, die aus einem einzigen ummauerten
Raum bestand, auf Gottes Geheià am Ende eines Weges errichtet, auf dem angeblich
Flaschen und Räder bergaufwärts rollten, weshalb Gläubige aus Rom und ganz
Latium an diese Stätte pilgerten. Hier lebte Giovanni Graziano in vollkommener
Einsamkeit und ernährte sich allein von den Früchten und Pflanzen, die im Walde
wuchsen: von Sauerampfer, Pilzen und Beeren sowie von den Broten, die hin und
wieder fromme Pilger vor der Tür der Einsiedelei ablegten. Seit seiner Taufe,
so hatte man Teofilo gesagt, habe sein Pate diesen Ort nicht mehr verlassen.
Weil ein jeder, der sich in die Welt hinaus begebe, sich unweigerlich in Sünde
und Schuld verstricke.
»Ich habe auch eine Frage, ehrwürdiger Vater.«
Gregorio, Teofilos zehn Jahre älterer Bruder, ein kraftstrotzender
junger Mann mit rotblonden Locken und schon sprieÃendem Bart, der mit bloÃen
Zähnen Walnüsse knacken und auf Kommando furzen konnte, hatte den Finger
gehoben, um sich bemerkbar zu machen.
»Nun, was möchtest du wissen?«, fragte Giovanni Graziano.
»Warum bringt eine schwarze Katze Unglück?«
»Darauf gibt es keine Antwort, mein Sohn.«
»Warum nicht?«, erwiderte Gregorio beleidigt. »Wenn Teofilo etwas
fragt, habt Ihr immer eine Antwort.«
»Weil Angst vor schwarzen Katzen Aberglaube ist.«
»Aberglaube? Das kann nicht sein! Das weià doch jeder, dass eine
schwarze Katze Unglück bringt. Oder?«
Um Zustimmung heischend, drehte Gregorio sich zu seinen Brüdern
herum: Ottaviano, der mit seiner feinen, hellen Haut und dem schmächtigen
Körper zwar aussah wie ein Mädchen, doch mehr essen konnte als zwei erwachsene
Männer zusammen, sowie Pietro, der immer so müde war, als hätte er die ganze
Nacht nicht geschlafen, und nur aufzuwachen schien, wenn ihn die Pickel juckten,
die seit ein paar Monaten auf seinem Gesicht blühten.
»Natürlich bringt eine schwarze Katze Unglück«, erklärte Pietro
gähnend. »Genauso, wie wenn im
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