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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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und
wieder, genauso wie den Mann, dem ihre Liebe galt.
    Â»Brrrrr …«
    Vor der Einsiedelei parierte der Wagenlenker die Pferde. Chiara
sprang von dem rollenden Karren und eilte im Laufschritt zu der Klause.
    Â»Teofilo?«
    Sie rüttelte an der Tür, doch niemand antwortete ihr.
    Â»Teofilo? Bist du da?«
    Als er wieder nicht öffnete, stieß sie die Tür auf.
    Â»Teofilo …«
    Die Einsiedelei war leer und verlassen wie das Grab Christi am
Ostersonntag. Nur auf dem Tisch lag eine aufgeschlagene Bibel, als hätte gerade
noch jemand darin gelesen, und die Kleidertruhe stand offen.
    Auf dem Absatz machte Chiara kehrt und lief um das Haus herum.
Vielleicht war Teofilo zum Bach gegangen, um Wasser zu holen? Oder in den Wald,
um Brennholz oder Beeren oder Pilze zu sammeln?
    Als sie auf die Rückseite des Gebäudes gelangte, erstarrte sie.
    Ein rechteckiges, mannsgroßes Erdloch gähnte ihr entgegen, ein
frisch ausgehobenes Grab, das angefüllt war mit Teofilos Hinterlassenschaften,
all den Insignien, die sein früheres Amt bedeutet hatten: die Mitra und
Dalmatika, die Tunicella und Alba, das Manipel und der Bischofsstab …
    Â»Teofilo?«
    Chiara lief hin und her, durchstöberte das Unterholz, eilte hinunter
zum Bach und wieder zurück zur Einsiedelei, und immer wieder rief sie seinen
Namen in den Wald hinein.
    Doch nichts als Schweigen antwortete ihr.
    Panisch vor Angst bekreuzigte sie sich.
    War sie zu spät gekommen?
    31
    Ein Kuckuck schlug irgendwo in der Ferne, und in den Wipfeln
der Bäume sangen die Vögel. In einer einfachen Kutte trat Teofilo auf die
sonnenüberflutete Lichtung, die den Wald mit dem Felsvorsprung verband. Wie
Seide umschmeichelte ihn die Morgenluft, und das weiche, federnde Moos kühlte
die Sohlen seiner Füße, die müde waren von dem langen Weg. Doch nichts davon
nahm er mit seinen Sinnen wahr. Denn sein Herz war wüst und leer.
    Â»Vater unser, der du bist im Himmel …«
    Durfte er in dieser Stunde überhaupt beten? Oder würde er damit
seinen vielen Sünden nur eine weitere hinzufügen?
    Obwohl seine Seele sich danach sehnte, noch einmal mit Gott zu
sprechen, verbot er sich das Gebet. Nein, das Recht hatte er verwirkt. Er
durfte Gott nicht um Hilfe bitten, nicht jetzt, da er im Begriff stand, sich
das Leben zu nehmen, das Gott ihm doch geschenkt hatte.
    Mit raschen Schritten strebte er auf den Felsvorsprung zu. Er wollte
es hinter sich bringen, je schneller desto besser. Als er das Brombeerdickicht
streifte, verfing sich seine Kutte in einem Dornenzweig, der voll reifer,
schwerer Früchte hing. Während er die Dornen von der Kutte löste, glaubte er
den Geschmack der Beeren auf der Zunge zu spüren. Wie eine Woge holte die
Erinnerung ihn ein. So oft war er früher an diesem Ort gewesen, um sich mit Chiara
zu treffen. Hier hatte er ihr den Ring geschenkt, mit dem sie sich einander
fürs Leben versprochen hatten … Hier hatte er sie geküsst und ängstlich zitternd
ihren Schenkel berührt … Hier hatte er zum ersten Mal geahnt, welches Glück ein
Mann in den Armen einer Frau empfinden konnte …
    Chiara …
    Sie war die Antwort auf sein Leben. Doch er war blind gewesen, hatte
nicht gesehen, wonach er suchte, obwohl es doch vor seinen Augen lag, und hatte
Gott geleugnet und geflucht. Aber jetzt, nachdem ihm endlich die Augen
aufgegangen waren und er begriffen hatte, was Chiara ihm bedeutete, war es zu
spät.
    Er wollte noch einmal die Höhle sehen – so groß wie eine Kapelle war
sie ihm damals erschienen, so groß wie sein Glück. Mit beiden Händen versuchte
er, die Zweige auseinanderzubiegen, doch das Gestrüpp war so fest ineinander
verwachsen, dass der Eingang sich nicht mehr öffnen ließ. Er ließ die Zweige
los und ging zu dem Felsvorsprung, der sich über dem Tal erhob. Auf diesem
Felsen hatte er für Chiara ein Haus bauen wollen, um ihr den Himmel zu zeigen.
Doch in dem See, der ferne in der Sonne glitzerte, gab es keine Geister, die
ihnen halfen – die Geister hatte es nur damals gegeben, in ihren Kinderträumen.
    Er trat bis an die Felskante vor. Senkrecht fiel der Berg ins Tal.
Zu seinen Füßen sah er die im Wind sich wiegenden Wipfel der Bäume, umflattert
von Vögeln, und ein Schwindel erfasste ihn.
    Spring, Teofilo, spring …
    Noch einmal spürte er den Wind auf seiner Haut, die

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