Der Kinderpapst
bereit, sich Gottes Willen zu fügen. Ruhig und gefasst lieà er den Blick
über die Menge schweifen, die sich allein zu dem Zweck versammelt hatte, den
Tod zweier Menschen zu erleben. Er wusste, wenn am Abend die Sonne über Rom
unterging, würde er nicht mehr auf dieser Welt sein, so wenig wie Gregorio di
Tusculo.
»Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her,
die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der
Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Und dann wird er sich auch an die
auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten,
in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist.«
Während der Henker die Falltür unter dem Galgenbaum aufspringen
lieÃ, um den Mechanismus zu prüfen, wartete Gregorio bereits auf seine
Hinrichtung. Der Tuskulaner war nur noch ein Spottbild seiner selbst. Derselbe
Mann, der sein Leben lang nichts mehr geliebt hatte als Kampf und Krieg, der
auf dem Schlachtfeld wie im Hurenhaus mit seiner Manneskraft geprahlt und sich
der Vergewaltigung zahlloser Frauen gerühmt hatte, war in Tränen aufgelöst, und
weder der Priester, der mit ihm die Sterbegebete zu sprechen versuchte, noch
die zwei Henkersknechte, die ihm die Fesseln festzurrten, vermochten ihn zu
beruhigen.
Der Henker gab mit der Hand ein Zeichen, auch den zweiten
Delinquenten aufs Schafott zu führen. Ohne Zutun der Schergen kam Petrus der
Aufforderung nach. Mit erhobenem Haupt durchschritt er das Meer der johlenden
Menschen, die seinen Namen riefen, die ihn verspotteten und bespuckten und doch
gleichzeitig die Arme nach ihm ausstreckten, um einen Zipfel seiner Kleider zu
erhaschen, weil die Berührung mit einem zum Tode Verurteilten angeblich Glück
brachte.
Obwohl an beiden Händen gefesselt, fühlte Petrus sich in seiner
Seele frei. Er hatte die Beichte abgelegt, und der Priester, ein noch junger,
aber glaubensfester Diener des Herrn, hatte ihm die Absolution erteilt und die
Sterbesakramente gespendet. Gereinigt vom Sündenschmutz, trat Petrus seinen
letzten Gang nicht nur in der Gewissheit an, den englischen Peterspfennig für
die Kirche gerettet zu haben, sondern auch im Vertrauen auf die Barmherzigkeit
Gottes. Das weltliche Gericht hatte ihn für schuldig befunden und dem Tode
überantwortet. Doch wer weiÃ, vielleicht war der Gnadenschatz der Kirche, den
die Märtyrer und Heiligen angehäuft hatten, groà genug, dass Gott ihn von den
Qualen des ewigen Todes befreite, auch wenn er diese tausendfach verdiente.
»Was ihr an dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr an
mir getan. Was ihr aber nicht getan habt an einem von diesen Geringsten, das
habt ihr auch nicht an mir getan â¦Â«
Während Petrus da Silva sich weiter mit den Worten des Evangeliums
für die Begegnung mit Gott stärkte, wurde Gregorio di Tusculo zum Galgen
geführt. Der Widerstand des Tuskulaners war endgültig gebrochen. Wehrlos wie
ein Kind lieà er es geschehen, dass der Henker ihm die Schlinge über den Kopf
streifte. Während der Hanf sich um seine Kehle schlang, wurde es auf dem Platz
so still, dass jeder sein Schluchzen hörte. Der Henker zurrte gerade den Knoten
des Strangs in seinem Nacken fest â da hob Gregorio noch einmal den Kopf.
»Vater! Vater! Warum hast du mich verlassen?«
Der Aufschrei lieà Petrus schaudern. Wollte Gregorio di Tusculo sich
noch im Augenblick des Todes versündigen, indem er den Hilferuf des Herrn am
Kreuz missbrauchte? Er würde die Antwort nie erfahren. Der Henker straffte den
Strick, die Falltür sprang auf, ein kurzer Ruck â dann baumelte Gregorio di
Tusculo in der Luft.
Applaus brandete auf, und die Menge jubelte.
»Gott sei seiner Seele gnädig.«
Noch während Petrus da Silva die Fürbitte sprach, traten zwei
Henkersknechte auf ihn zu und nahmen ihn in ihre Mitte. Zum Zeichen seines
Einverständnisses streckte er ihnen die Arme entgegen. Gott hatte den Menschen
Gesetze gegeben, damit diese ihnen halfen, ihre Bosheit im Zaume zu halten.
Ohne dass ihm jemand den Befehl dazu gab, kniete Petrus vor dem Richtblock
nieder und legte seinen Kopf in die Mulde, die dafür vorgesehen war.
»Und sie werden hingehen â diese zur ewigen Strafe, die Gerechten
aber in das ewige Leben.«
Während wieder Stille einkehrte, blickte Petrus da Silva noch einmal
über die Menge.
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