Der Kindersammler
Schatten ihrer selbst. Ein magerer kleiner Mensch mit einer derart schmalen Silhouette, dass sie sich kaum von der R ü ckenlehne des Sessels abhob.
Als ihr Sohn hereinkam, r ü hrte sie sich nicht, zuckte mit keiner Wimper und schien keineswegs ü berrascht. Als w ä re er nur eben mal drau ß en gewesen, um Petersilie zu holen.
» Ich bin's, Mama « , sagte Alfred. » Wie geht's? «
» Blendend « , antwortete sie. Ihr Zynismus war ungebrochen, und ihr Ton war immer noch hart und kalt, obwohl ihre Stimme schwach geworden war. Ihr Blickfeld war stark eingeengt, und auch den Kopf konnte sie nur mit M ü he bewegen. So musste sie den ganzen Oberk ö rper drehen, um ihm hinterher zuschauen, als er durchs Zimmer ging und die dunklen Vorh ä nge aufzog. Tageslicht durchflutete den Raum und machte den Staub sichtbar, der wie ein dicker Brei im Zimmer hing.
» Drau ß en scheint die Sonne « , sagte er.
» Das ist mir egal « , erwiderte sie und schloss geblendet die Augen.
Alfred schaltete die Deckenbeleuchtung aus und ö ffnete die Fenster, denn im Zimmer roch es muffig wie in einem feuchten Keller, in dem Kartoffeln faulen.
Edith fing augenblicklich an zu zittern und rutschte noch tiefer in ihren Sessel. Er nahm eine klamme Decke vom Sofa und legte sie ihr ü ber. Edith lie ß es kommentarlos geschehen und sah ihn mit matten Augen an, die schon lange ihren Glanz verloren hatten.
Dann ging er in die K ü che. Seine Mutter musste schon ewig nichts mehr gegessen haben, die Essensreste, die herumstanden, und auch die die er im K ü hlschrank fand, waren uralt und verschimmelt. Unter der Sp ü le fand er eine Plastikt ü te, fegte die Essensreste hinein und ging nach drau ß en, um sie wegzuwerfen.
Danach ö ffnete er mit M ü he die schwere morsche Stallt ü r, die ihm fast entgegenfiel, als er sie vorsichtig aufzog. Das eine Schwein, das noch lebte, lag apathisch auf der Erde und war so mager wie seine Mutter. Er nahm ein Messer und schnitt ihm die Kehle durch. Es quiekte nur kl ä glich, als es sein einsames, armseliges Leben aushauchte.
Zu ernten gab es nichts. Auch der Apfelbaum, von dem er als Kind gefallen war, hatte eine merkw ü rdige Krankheit, alle Ä pfel waren verschrumpelt und mit schwarzem Schorf bedeckt.
» Du musst ins Heim « , sagte er zu seiner Mutter. » Du kommst allein nicht mehr klar. «
» Gar nichts muss ich « , erwiderte sie.
» Aber allein verhungerst du! Du stehst ja noch nicht einmal auf und gehst in die K ü che, um dir was zu essen zu holen! «
» Na und? «
» Ich kann dich doch nicht einfach hier verrecken lassen! «
In Ediths Augen kam f ü r einen Moment Leben zur ü ck, denn sie funkelten w ü tend. » Wenn der Teufel kommt, um mich zu holen, dann ist das in Ordnung. Halt du dich da raus! «
Alfred wunderte sich, wie viel Kraft noch in dieser abgemagerten kleinen Person steckte.
» Du hast den Hund verhungern lassen. Und das Schwein. « Sie zuckte nur die Achseln.
» Du hast ihm ja nicht mal Wasser gegeben, dem armen Kerl! « » Erst hat er tagelang gebellt. Und dann war er still. Also ist er ganz friedlich eingeschlafen. «
Alfred sagte nichts mehr, denn er sah, wie ersch ö pft seine Mutter war. Wahrscheinlich hatte sie schon jahrelang mit niemandem mehr gesprochen. Er sah, wie ihr Kopf zur Seite sackte, sich ihr Mund leicht ö ffnete und sie leise zu schnarchen begann.
In der N ä he des Apfelbaumes hob er eine tiefe Grube f ü r den Hund und das Schwein aus. Als er die beiden Tiere beerdigt hatte, fegte er den Hof und s ä uberte die K ü che. Danach ging er zu seiner Mutter, hob sie aus dem Sessel und fing an, sie zu entkleiden. Edith riss erschrocken die Augen auf und schrie. Hoch und schrill wie ein Fasan in der Schnauze des Fuchses. Er achtete nicht darauf und zog sie weiter aus. Pullover f ü r Pullover, Bluse f ü r Bluse, Hemd f ü r Hemd. Edith trug zwiebelartig fast alles ü bereinander, was sie besa ß .
» Was machen die Zwillinge? « , fragte er.
Edith antwortete nicht, sondern schrie weiter wie am Spie ß .
Die Badewanne hatte er zuvor geschrubbt und von fahre altem Dreck und Rost befreit. Das lauwarme Badewasser war dennoch hellbraun und tr ü b. Widerwillig hielt er den alten, faltigen, aber federleichten K ö rper in seinen Armen. Seine Mutter zappelte und schlitzte ihm mit ihren ungeschnittenen scharfen Fingern ä geln die Wangen auf. Sie wehrte sich mit all ihren Kr ä ften, ber ü hrt, getragen, gehoben und gebadet zu werden. Wie eine Wilde
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