Der Kirchendieb
Johanna die Zeit angehalten. Die
Unruhe um sie herum und die Rempeleien störten sie nicht. Es war immer so während des Gottesdienstes. Die Leute waren ständig
in Bewegung, machten irgendwelche Geschäfte, verscheuchten streunende Hunde, die aufdringlich um Fressen bettelten, oder unterhielten
sich über den neuesten Klatsch.
Nicht einmal ihre Mutter brachten sie diesmal aus der Fassung. Normalerweise würde sie ihnen böse Blicke zuwerfen und vor
sich hin schimpfen: »Wie damals, als Jesus in den Tempel ging und alle Verkäufer und Käufer vertrieben hatte.
Mein Haus soll ein Bethaus sein
, hatte er ihnen gesagt. Die Leute sollten sich schämen. Auch wenn man kein Wort Latein versteht, so sollte man doch innehalten
und mit seinem Herzen und all seinen Gedanken bei Gott, der Mutter Maria und all den Heiligen sein.« Aber dieses Mal schien
die Welt um sie herum nicht zu existieren.
Nachdem die Glocken läuteten, wurden die Gläubigen und auch Johanna wieder in ihren Alltag entlassen.Johanna gab ihrer Mutter und ihren Brüdern zum Abschied einen Kuss.
»Ich muss leider schon zurück in die Küche«, log sie und schämte sich etwas dafür, weil sie doch in einem Gotteshaus waren.
In Wirklichkeit hatte sie noch bis zum späten Nachmittag frei. Aber ein wichtiges Treffen wartete auf Johanna, von dem ihre
Familie am besten nichts wusste. Wenn ihr Plan aufginge, wollte sie ihre Mutter mit der Belohnung überraschen. Falls es nicht
klappen sollte, wäre sie wenigstens nicht enttäuscht. Außerdem würde sich ihre Mutter nur Sorgen machen und ihr die Nachforschungen
verbieten. Dieser Gedanke beruhigte Johannas schlechtes Gewissen etwas und so eilte sie erleichtert hinunter zum Rhein.
Als Johanna an der verabredeten Stelle ankam, stellte sie entsetzt fest, dass ihre Jungs schon da waren. Und die von Andreas.
Krischer und einer der Kaufmannssöhne, er hieß Mathias, wälzten sich bereits im Dreck und zogen sich gegenseitig an den Haaren.
Die anderen standen sich im sicheren Abstand gegenüber und feuerten lautstark die beiden Kampfhähne an.
Johanna sah sich um. Wo war Andreas? Nicht da!
»He, ihr Matschbirnen. Hört auf damit!«, rief sievergebens. Niemand nahm Notiz von ihr. Ungeduldig hielt sie nach Andreas Ausschau.
Völlig abgehetzt kam er um die Ecke gebogen. Sein Blick fiel sofort auf die sich streitende Meute. Ohne zu zögern, steckte
er Daumen und Zeigefinger in den Mund und pfiff so laut, dass alle verstummten. Sogar die beiden Raufbolde hielten inne.
Dann gingen er und Johanna gemeinsam dazwischen, zerrten die beiden Kämpen auseinander und erklärten, warum sie beide Banden
hierherbestellt hatten.
»Denkt daran, Jungs. Immerhin wären wir dann unseren heiß und innig gehassten Schulmeister los!«, erinnerte Andreas eindringlich
seine Leute.
Aufgeregt redeten alle durcheinander. Sie waren sich nur darin einig, dass sie mit den
anderen
nichts zu tun haben wollten.
»Warum sollten wir nicht auf eigene Faust die Beute suchen und die Belohnung und den Ruhm nur für uns ernten? Immerhin ist
es unser Schulmeister«, wollte ein Junge aus Andreas’ Bande wissen. Johanna mochte ihn nicht. Sein Name war Ludwig.
Eingebildeter Angeber, dachte sie und erschrak bei dem Gedanken. Auch sie war nicht frei von Vorurteilen.
»Immerhin hat unsere Anführerin ihn entlarvt«, warf Claeß ein. »Ihr Blindfische wüsstet doch gar nichts von den Nebeneinkünften
eures Meisterleins!«
»Das nimmst du zurück, du stinkender Lumpensammler!«, keifte Ludwig.
Der Schlagabtausch war nun im vollen Gang. Jeder wusste den anderen zu beleidigen und zu kränken.
»Ihr verzogenen Pfeffersäcke!«
»Ihr unnütze Pflastertreter!«
»Dukatenscheißer!«
»Beutelschneider!«
»Betrüger!«
»Haltet die Klappe!«, brüllten nun Andreas und Johanna gemeinsam aus Leibeskräften. »Wenn ihr uns nicht helfen wollt, dann
machen wir es eben alleine. Ohne euch!«, drohte Andreas.
»Und neue Anführer für die Banden könnt ihr dann auch suchen«, fügte Johanna hinzu.
Das hatte gesessen. Die Anführer im Stich lassen ging nun doch gegen ihre Ehre. So etwas wollte sich keiner nachsagen lassen.
Mit großem Gemurre gaben schließlich alle nach.
»Heißt das, ihr wollt euch zusammenreißen und wenigstens dieses eine Mal zusammenarbeiten?«, hakte Andreas nach.
Wieder murmelten alle vor sich hin.
Ludwig ergriff nun das Wort. »Wenn das so ist, dann wollen wir auch die Hälfte der Belohnung, damit das
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