Der Kirchendieb
versicherte, dass ihm niemand gefolgt war.
»Ich stehe tief in deiner Schuld, mein Freund«, sagte Johanna. »Du hast mir das Leben gerettet«.
»Was war los? Mir ist ein Mann aufgefallen, der jemanden gesucht hat. War ziemlich sauer, als er umkehren musste«. Claeß entblößte
ein paar schwarze Zahnstummeln.
»Leider habe ich keine Zeit, dir alles zu erklären. Muss nach Hause, beichten, dass ich den Fisch verloren hab.«
Claeß schaute Johanna neugierig an.
»Ich erklär es dir am Sonntag, nach dem Gottesdienst. Ruf die anderen zusammen. Treffpunkt wie üblich. Ihr werdet staunen,
was ich euch berichte. Vielleicht sind wir bald alle unsere Sorgen los«.
Claeß starrte Johanna an, als hätte sie den Verstand verloren. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich sag den anderen Bescheid«,
meinte er nur und rief dann die alte Gülich zu sich, um sich für die Ladung zwei Pfennige geben zu lassen.
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Der Plan
Als Johanna in die Küche stolperte, stand Theres schon mit dem Kochlöffel bereit. Sie brauchte ihn nicht zum Kochen. Stattdessen
würde ihr Hinterteil ihn zu spüren bekommen.
»Wo warst du so lange? Und wo sind die Fische?«
Auf dem Heimweg hatte sich Johanna noch Mut gemacht. Zuerst wollte sie einfach die Wahrheit sagen. Doch dann hätte sie auch
von ihrem nächtlichen Ausflug erzählen müssen, von dem Dietrich und dem geplanten Kerzenraub in der Kirche. Außerdem hätte
sie ihr sowieso nicht geglaubt, dass der Schulmeister der Kirchendieb ist. Sie hörte förmlich die Empörung der redlichen Küchenmagd.
Zuerst würde Theres schnauben wie ein Walross, dann ihre Nüstern aufblähen und schließlich in die Luft gehen.
»Wie kannst du dahergelaufene Straßengöre es wagen, einem so feinen Mann wie dem Herrn Schulmeister so etwas Ungeheuerliches
anzudichten?« So etwas oder etwas Ähnliches würde Theres sagen. Und dann würde sie Johanna noch mehr bestrafen.
Nein, eine glaubhafte Notlüge musste her. Bis Johanna in der Rheingasse angekommen war, hatte sie eine Geschichte parat. Und
die gab sie, wie sie fand, ganz überzeugend wieder.
»Gleich hinter Groß St. Martin, da wo Andreas’ Schule ist, hat mir ein gemeiner Dieb den Eimer mit dem Fisch geklaut. Ich
bin ihm noch hinterhergerannt, konnte ihn aber nicht einholen.«
Theres sah Johanna lange an, so als würde die Wahrheit ihr im Gesicht stehen. Dann schnaubte sie laut.
»Ich weiß nicht, ob das stimmt, was du mir erzählst, Mädchen. Aber ich will dir noch mal glauben. Mein Gefühl sagt mir nämlich,
dass du mir da gerade einen ganz dicken Bären aufgebunden hast.« Dann schnappte sich Theres die Gret und schickte diese mit
einem neuen Eimer zum Fischmarkt. Johanna aber ließ sie den Rest des Tages nicht mehr aus den Augen.
Am Abend, als sich alle zum Schlafen niedergelegt hatten, wartete Johanna vergebens auf Andreas. Sosehr sie auch hoffte, dass
er kommen, ihr verzeihen und das Lesen und Schreiben beibringen würde, es geschah nicht. Sie wollte ihm unbedingt von ihrer
Entdeckung berichten. Er musste doch wissen, dasssein Lehrer ein gemeiner Dieb war. Außerdem war sie ihm noch eine Erklärung schuldig.
Als die Glocken von Groß St. Martin die elfte Stunde schlugen, fasste Johanna einen Entschluss. Wenn der Prophet nicht zum
Berg kam, musste der Berg eben zum Propheten. Im Dunkeln schlich sich Johanna in den ersten Stock hinauf, wo die Schlafräume
der Familie lagen. Die Holztreppe knarrte furchtbar laut, zumindest kam es Johanna so vor. Es schien eine Ewigkeit zu dauern,
bis sie die letzte Stufe erreicht hatte. Andreas, das wusste sie, schlief im linken Zimmer, die Eltern im rechten. Lautlos
wie eine Katze trat sie vor die Tür und drückte den Türgriff, so leise es ging, nach unten. Vorsichtig spähte sie hinein.
Mondlicht fiel durch die Glasfenster. War dies wirklich Andreas’ Zimmer? Da seine älteren Brüder nicht mehr zu Hause wohnten,
schlief er allein. Zum Glück. Auf Zehenspitzen schlich sie zu dem riesigen Himmelbett und sah hinein. Johanna atmete auf.
Es war eindeutig Andreas’ Haarschopf, der unter der Bettdecke hervorschaute.
»He! Schnarchzapfen! Wach auf!«, flüsterte sie.
Andreas grunzte nur und drehte sich um.
Johanna legte ihre Hand auf Andreas’ Schulter und rüttelte ihn sanft. »Aufwachen!«
Nun schmatzte er laut, murmelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin, drehte sich erneut um und begann auch noch zu schnarchen.
Oh Mann!, dachte Johanna. Da half wohl
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