Der Kirchendieb
wieder um, entdeckte jedoch nirgends ein bekanntes Gesicht. Wo waren nur ihre Freunde,
wenn man sie brauchte? Auch vor dem Schulhaus konnte sie keinen von ihnen erblicken.
Unsanft schubste der Schulmeister Johanna hinein und verriegelte die Tür.
»Nun zu dir! Wenn du glaubst, ich habe dich nicht wiedererkannt, dann täuschst du dich. Ich bin Lehrer, ich vergesse keine
Gesichter.«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.« Johanna bemühte sich, so unschuldig wie möglich zu klingen.
»Ich denke doch.« Der Schulmeister kam ihr immer näher. Johanna versuchte nach hinten auszuweichen, stieß aber gegen die Wand.
»Was soll ich jetzt mit dir machen?«
»Ihr gebt mir einfach Euer Gewand und ich bringe es unserer Wäscherin«, schlug Johanna vor.
Doch Zenker ging nicht darauf ein.
»Ich habe nicht vor, mich in einen der Türmesperren oder gar hängen zu lassen. Das verstehst du doch?« Zenker war jetzt nur noch einen Schritt von Johanna entfernt. Sie
beobachtete, wie der Lehrer nach seiner Rute griff und zum Schlag ausholte. Ein Pfiff durchschnitt die Luft, dann sausten
die Birkenzweige knapp an Johannas Kopf vorbei. Sie konnte rechtzeitig zur Seite ausweichen. Doch der Schulmeister wurde davon
nur noch wütender.
»Du glaubst wohl, du kannst Spielchen mit mir spielen.«
Wieder sauste die Rute auf Johanna nieder und traf sie diesmal am Arm. Ein brennender Schmerz durchfuhr sie.
»Ich werde dich zum Schweigen bringen müssen. Kurz vor meinem Ziel kann ich keine Zeugin gebrauchen.« Wieder und wieder schlug
Zenker nach Johanna, die jedes Mal geschickt auswich.
»Ich werde Euch nicht verraten. Wer glaubt schon einem dahergelaufenen Küchenmädchen?«
»Vermutlich hast du damit recht. Aber wäre ich nicht dumm, wenn ich in letzter Sekunde noch ein Risiko eingehen würde?« Zenker
drängte Johanna immer weiter in die Ecke. »In spätestens einer Stunde habe ich diese miefige Stadt hinter mir gelassen und
werde woanders als gemachter Mann neu anfangen.«Die Wangen des Schulmeisters wurden rot vor Aufregung. »Endlich werde ich reich sein, edlen teuren Franzosenwein trinken,
wann immer und so viel ich will. Du ahnst ja nicht, wie satt ich dieses Schulmeisterleben habe. Jeden Tag die verzogenen Söhne
dieser reichen Kaufleute zu unterrichten, für einen Hungerlohn und etwas Feuerholz und Kerzen«.
Johanna saß wie eine Maus in der Falle. Grob packte Zenker sie am Arm, drehte ihn auf den Rücken und zwang sie auf die Knie.
Wie aus dem Nichts hielt er plötzlich ein Seil in der Hand und fesselte sie damit an Armen und Beinen. »Glaub bloß nicht,
dass du einfach so davonkommst«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Dann ging er lachend auf den Kachelofen zu. Er öffnete das Türchen des Schürloches und griff hinein. Ein prall gefüllter Beutel
kam zum Vorschein, dann noch einer und noch einer. Johanna fluchte innerlich. Diese Kaufmannssöhne waren zu dämlich zum Suchen.
Ihre Jungs hätten dieses Versteck sicher nicht übersehen.
»Wie wollt Ihr den Sack voller Diebesgut erklären, wenn Ihr am Stadttor von Wachen befragt werdet?«
Zenker lächelte siegessicher. »Für wie blöde hältstdu mich? Ich werde sicher nicht mit der Beute die Stadt verlassen. Auf mich wartet bereits ein Händler mit einem Beutel voller
Geld und du wirst mir ganz sicher nicht in die Quere kommen«.
»Was habt Ihr mit mir vor? Wie wollt Ihr Euer plötzliches Verschwinden erklären?«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Nachdem das Feuer das Schulhaus bis auf die Grundmauern niedergebrannt hat, wird niemand nach
uns beiden suchen. Wir werden als Opfer der Flammen betrauert werden«. Wieder lachte der Mann.
»Damit kommt Ihr nicht durch. Mein Freund weiß über Euch Bescheid. Er war in der Kirche dabei.«
Das hatte gesessen. Für einen kurzen Augenblick hielt Zenker inne. Doch dann grinste er wieder. »Was soll’s? Einen Totgeglaubten
wird schließlich niemand richten. Außerdem wird das Feuer für genügend Ablenkung in der Stadt sorgen, sodass ich unbehelligt
mein Geschäft tätigen und Köln verlassen kann.«
Johanna zerrte nun mit aller Kraft an ihren Fesseln, doch der Knoten zog sich nur fester zu.
Mit hochrotem Gesicht kniete sich Zenker zu ihr hinunter und stopfte ihr einen alten Lumpen in den Mund.
Johanna glaubte zu ersticken, zwang sich krampfhaft, ruhig durch die Nase zu atmen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Zenker
mit seinem Schlageisen und einem Feuerstein ein kleines Feuer entfachte und den
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