Der Kirschbluetenmord
aus Musselin trugen.
Zwei der Männer waren Halbwüchsige, noch keine zwanzig Jahre alt; der dritte mochte um die Fünfzig sein. Sie besaßen die müden Augen gefangener, schicksalergebener Tiere. Demutsvoll ließen sie sich vor Sano auf die Knie fallen und berührten mit der Stirn den Boden, die Arme zu den Seiten ausgestreckt. Die beiden jungen Männer zitterten. Sano wußte, warum: Ein Samurai hätte sie nach Lust und Laune töten können – um die Schärfe eines neuen Schwerts zu erproben, zum Beispiel –, ohne befürchten zu müssen, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Andererseits waren Sano entsetzliche Geschichten über das Leid zu Ohren gekommen, das die Eta als Wärter, Folterer und Scharfrichter den Gefangenen zufügten. Nun wandte er sich mit einer Mischung aus Mitleid und Abscheu an die drei Männer.
»Habt ihr euch um die beiden Leichen kümmern müssen, die heute morgen gebracht wurden? Den Mann und die Frau, die den shinjū begangen haben?« fragte er.
Schweigen. Schließlich sagte der alte Mann: »Ja, Herr.« Dann gaben auch die beiden jüngeren mit leiser Stimme die gleiche Antwort.
»Habt ihr irgendwelche Anzeichen entdeckt, daß es kein Selbstmord gewesen sein könnte? Wunden? Irgendwelche Verletzungen?«
»Nein, Herr«, antwortete der alte Mann. Diesmal schwiegen die beiden jüngeren, die noch immer zitternd am Boden knieten.
»Hab keine Angst«, wandte Sano sich nun direkt an den alten Mann. »Denke nach. Sag mir, wie die Leichen ausgesehen haben.«
»Es tut mir leid, Herr, aber das weiß ich nicht.«
Nach mehreren weiteren Versuchen erkannte Sano, daß aus diesen verängstigten, ungebildeten Männern keine brauchbaren Informationen herauszubekommen waren. »Ihr könnt gehen«, sagte er enttäuscht.
Die beiden jüngeren Eta zogen sich hastig zurück, wobei sie noch ein Stück auf den Knien rutschten; dann sprangen sie auf und rannten davon. Der alte Mann aber rührte sich nicht von der Stelle.
»Ehrenwerter Herr, ich bitte um die Erlaubnis, Euch helfen zu dürfen«, sagte er.
In Sano keimte wieder Hoffnung auf. »Steh auf«, befahl er, um sich diesen Eta, der den Mut hatte, ein wenig Selbstbewußtsein zu zeigen, genauer anzuschauen. »Was möchtest du mir sagen?«
Der Eta erhob sich. Er hatte graues Haar, tiefliegende, intelligente Augen, ein ernstes, kantiges Gesicht und eine würdevolle Haltung.
»Ich kann Euch nichts sagen, Herr«, erklärte er und blickte Sano fest in die Augen. »Aber ich kann Euch zu jemandem führen, der alles weiß, was es zu wissen gibt.«
Sano horchte auf. »Gut«, sagte er. »Führe mich hin.«
Er folgte dem Eta den gleichen Weg entlang, den der Wächter ihn geführt hatte; es ging um das Gebäude herum und dann über einen weiteren Hof. Dort erblickte Sano ein riesiges Bauwerk aus gebrannten, nackten Lehmziegeln, das auf einem hohen Fundament aus Stein errichtet war: das eigentliche Gefängnis. Winzige Fenster hoch über dem Boden verliehen ihm das Aussehen einer Festung. Fünf weitere Wächter führten Sano und den Eta durch eine Tür, die noch dicker und schwerer war als die am Haupttor.
Geräusche und Gestank attackierten gleichzeitig Sanos Sinne. Hinter den massiven Türen, die sich zu beiden Seiten des Ganges befanden, drangen Schreie, Stöhnen und Schluchzen hervor. Zwei Wärter drängten sich an Sano vorbei. Einer hämmerte laut gegen sämtliche Türen auf dem Gang, was den Höllenlärm nur noch unerträglicher machte.
»Ruhe, ihr stinkenden Hurensöhne!« rief er. »Seid endlich still!«
Der andere Wärter schob durch Schlitze, die sich unter den schweren Türen befanden, die Essensrationen auf Holzplatten in die einzelnen Zellen. Im trüben Licht, das durch die Fenster an beiden Enden des Ganges fiel, konnte Sano erkennen, daß die Mahlzeit aus fauligem Gemüse und schimmeligem Reis bestand. Es wimmelte von Ungeziefer und Fliegen; ganze Schwärme ließen sich auf Sanos Gesicht und Händen nieder. Angeekelt schlug er sie immer wieder fort. Der Übelkeit erregende, stechende Gestank von Urin, Kot und Erbrochenem stieg ihm in die Nase, und er versuchte, die Luft anzuhalten. Dünne Bäche stinkenden, verseuchten Wassers sickerten aus den Zellen auf den steinernen Boden des Ganges. Sano stieß erschreckt den Atem aus, als dicht vor ihm eine fette Ratte über den Korridor huschte. Rasch führte der Eta den Besucher um eine Ecke und einen anderen Gang hinunter. Nach und nach verebbte der Lärm, wenngleich der Gestank blieb.
Allmählich
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