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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Angreifers stürzte der Mann zu Boden. Das alles geschah so schnell, daß Sano keine Zeit zum Nachdenken blieb. Die Jahre der Ausbildung hatten dafür gesorgt, daß er jede Bewegung rein intuitiv vollzog. Nun aber durchtoste die Erkenntnis, daß er zum erstenmal getötet hatte, seine Seele wie ein wilder, glutheißer Sturm.
    Er hatte etwas getan, das er nie von sich erwartet hätte: Er hatte im Dienste seines Herrn gekämpft. Er war Samurai im wahrsten Sinne des Wortes. Von Erregung und Leidenschaft durchdrungen, sprang er auf und stürzte sich erneut in dem Kampf. Er würde den Shōgun doch noch retten!
    Ein Blick in die Runde dämpfte seinen Kampfeseifer. Der dōshin und seine beiden Helfer waren tot zu Boden gesunken. Die Körper der Leibwächter des Shōgun und der Mitverschwörer Fürst Nius lagen verkrümmt auf der Straße. Einer der überlebenden Verschwörer hieb und stach zwei Männer aus der Zuschauermenge nieder, die sich ebenfalls am Kampf gegen die schwarzgewandeten Verschwörer beteiligt hatten. Dann schloß er sich seinen drei verbliebenen Mitverschwörern beim Sturmangriff auf die vier überlebenden Leibwächter an, die einen schützenden Wall um den Shōgun gebildet hatten. Die Gruppe zog sich enger zusammen, als die Verschwörer sie immer weiter zurückdrängte, bis die Verteidiger schließlich mit dem Rücken zur steinernen Mauer standen. Blut tränkte die Kleidung der Widersacher. Nun kämpften auf beiden Seiten nur noch die Besten gegen die Besten; jetzt war das Kräfteverhältnis ausgeglichen. Als Sano voranstürmte, um den Männern des Shōgun beizustehen, sah er plötzlich eine dunkel gekleidete Gestalt aus einem Türeingang hervorschlüpfen und auf die Straße treten. Das Gesicht des Mannes war Sano abgewandt, doch sein leichtes Hinken war unverwechselbar.
    Fürst Niu Masahito.
    Mit einem schrillen Todesschrei fiel einer der Leibwächter des Shōgun zu Boden. Der Tod des Mannes hinterließ eine gefährliche Lücke im Wall aus menschlichen Leibern, der den Shōgun schützend umgab. Bevor die anderen Männer die Lücke bemerkt hatten und sie füllen konnten, stürmte Fürst Niu nach vorn und zog das Schwert aus der Scheide.
    »Nein!« Ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit, warf Sano sich schützend vor Tokugawa Tsunayoshi. Mit hellem, lautem Klirren trafen die Schwertklingen Sanos und Fürst Nius aufeinander.
    Die Schadenfreude auf Niu Masahitos Gesicht verwandelte sich in einen Ausdruck wilden Zorns, und in seinen Augen loderte es noch heller als gewöhnlich. Mit einer Bewegung, die so schnell war, daß Sano sie gar nicht wahrnahm, schlug der Fürst ihm mit der Schwertspitze die Maske vom Gesicht. Masahito lächelte grausam und entblößte dabei seine Zähne.
    »Ihr!« stieß er hervor. »Mischt Ihr Euch immer noch in meine Angelegenheiten ein? Lernt Ihr denn niemals aus Euren Lektionen?«
    Von plötzlichem Entsetzen gelähmt, konnte Sano ihn nur schweigend anstarren. Mit dem lässigen Hieb, mit dem Fürst Niu ihm die Maske vom Gesicht geschlagen hatte, hätte er ihn ebensogut töten können. Diese Erkenntnis machte Sanos Selbstsicherheit zunichte, die seine beiden vorangegangenen Siege ihm verliehen hatten. Gegen seinen Willen mußte er an die eindrucksvolle Vorstellung denken, die Fürst Niu in der Übungshalle der Waffenkampf-Akademie gegeben hatte. Das erhobene Schwert zitterte in Sanos Hand. Mit der Zunge befeuchtete er sich die Lippen, die plötzlich trocken geworden waren.
    »Ich, Sano Ichirō, werde nicht zulassen, daß Ihr den Shōgun ermordet«, sagte er dann mit einer Stimme, die selbst in seinen eigenen Ohren furchtsam klang.
    Fürst Niu lachte laut auf. Es war ein hohes, dämonisches, abgehacktes Geräusch, bei dem Sanos Nackenhaare sich aufrichteten. Fürst Nius Nasenflügel blähten sich, als könnte er Sanos Angst riechen. »Ihr könnt mich nicht aufhalten«, sagte er. »Ihr könnt bei dem Versuch nur sterben. Aber wenn Ihr es so haben wollt, dann soll es so sein.« Er starrte Sano in die Augen, kauerte sich nieder und machte sich sprungbereit, das Schwert erhoben.
    Während Sano dem Blick des Fürsten standhielt, lenkte er einen Teil seiner Gedanken nach innen, richtete sie auf sein spirituelles Zentrum, suchte nach Gelassenheit und Ruhe, geistiger Reinheit und innerer Harmonie, die einen Krieger beim Kampf leiten und ihm Kraft verleihen. Doch Sano fand in seinem tiefsten Innern nur Chaos und Aufruhr, aus dem er keinerlei Energie schöpfen konnte. Er vermochte weder die

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