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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Furcht zu vertreiben noch den Schmerz, noch die Erinnerungen; und er konnte der Kraft, die diese innere Verwirrung gegen ihn selbst richtete, nichts entgegensetzen. Doch er brauchte den Zustand der vollkommenen Konzentration! Ohne diese geistige Energie war er lediglich eine gut ausgebildete Kampfmaschine, der man jedoch die leitende und lenkende Kraft genommen hatte. Er war verloren.
    Fürst Niu schlug zu. Sein Schwert fuhr mit hörbarem Zischen durch die Luft.
    Sano parierte den Hieb einen Lidschlag zu spät. Die Klinge schlitzte ihm die rechte Schulter auf. Nur eine blitzschnelle, instinktive Drehung zur Seite bewahrte Sano vor dem nachfolgenden Stich, der auf die Brust gezielt war und bis ins Herz gedrungen wäre. Für einen Augenblick raubte der lodernde Schmerz ihm den Atem. Sano machte einen Gegenangriff, doch seine Klinge zischte nur durch leere Luft, als Fürst Niu sich lässig duckte. Sano spürte, wie ein Schwall Blut ihm warm über die Haut rann; das Leben strömte aus seinem Körper.
    Die Leibwächter des Shōgun, die noch immer mit Fürst Nius Männern kämpften, konnten ihm nicht zu Hilfe kommen. Sie wußten und erkannten nicht, daß der Fürst eine größere Bedrohung für ihren Herrn darstellte als die drei anderen Gegner zusammen. Doch wenn Sano den Shōgun schon nicht retten konnte, so wollte er ihm wenigstens die Möglichkeit verschaffen, sich selbst zu retten.
    Er duckte sich, so daß Fürst Nius nächster Hieb fehlging. Die Schwertklinge sirrte in einem Halbkreis so dicht über Sanos Kopf hinweg, daß sein rasierter Scheitel gestreift wurde. Die Haut brannte und prickelte. Mit der linken Hand zog er das Kurzschwert aus der Scheide. Die Bewegung verschlimmerte den Schmerz in seiner Schulter; schwarze Punkte tanzten Sano vor den Augen. Für einen schrecklichen Moment fürchtete er, das Bewußtsein zu verlieren. Ohne hinzuschauen, schleuderte er das Schwert nach hinten und rief: »Hoheit! Fangt auf!«
    Er hatte keine Zeit, sich davon zu überzeugen, ob der Shōgun die Waffe auffangen konnte. In pfeifenden Bögen sirrte Fürst Nius Schwertklinge immer wieder auf Sano hinunter oder über ihn hinweg. Für einen Schlag kassierte Sano zwei seines Gegners. Sein Schwert wurde stumpf, schartig und beinahe nutzlos. Sano entging einer tödlichen Wunde nur, indem er sich immer weiter von jenem Mann forttreiben ließ, den er schützen mußte.
    Aus schierer Verzweiflung suchte Sano schließlich in verbalen Attacken Zuflucht. »Eure Mutter ist tot«, rief er Fürst Niu zu. »Sie hat sich heute abend das Leben genommen, als sie erfahren hat, daß Ihr ein Verräter seid!«
    Fürst Niu war nicht anzumerken, ob er die Bemerkung gehört hatte. Seine lodernden Augen starrten durch Sano hindurch auf fernen Ruhm.
    Sano versuchte es mit einem weiteren verbalen Nadelstich. »Für dieses Verbrechen wird man Euch zur Rechenschaft ziehen!« rief er. »Selbst wenn Ihr den Shōgun und mich tötet, kommt Ihr nicht lebend aus Edo heraus!«
    Plötzlich schien Fürst Niu überall um ihn herum zu sein. Den Schlag, der ihm das Schwert aus der Hand prellte, sah Sano gar nicht. Instinktiv packte er nach der kurzen Waffe – die er dem Shōgun zugeworfen hatte. Sein Entsetzen wuchs, als er nun seinen Fehler erkannte. Blitzartig rannte Sano ein Stück zurück und ließ den Blick über die Straße huschen. Wo war das Schwert, das der Fürst ihm aus der Hand geschlagen hatte?
    Fürst Niu setzte sofort nach. Nur ein leichtes Hinken verriet seine Behinderung, als er über die Straße zu Sano eilte und dabei über die Leichen hinwegsprang. Seine Miene war angespannt vor wilder Entschlossenheit, und er schwang das Schwert mit unglaublicher Wucht.
    Zu spät bemerkte Sano, daß ihm der Leichnam des dōshin in den Weg geraten war. Er trat mit dem Fuß gegen den Körper, geriet ins Wanken und stürzte schwer auf den Toten. In diesem Augenblick entdeckte er sein Schwert ganz in der Nähe. Er streckte die Arme aus, so weit er nur konnte, und reckte die Hände, um die Waffe zu ergreifen, doch es war vergeblich. Das Schwert lag außerhalb seiner Reichweite, wenn auch nur ein kleines Stück.
    Dann stand Fürst Niu über ihm. »Ihr seid ein gewaltiges Ärgernis, Sano -san «, sagte er zwischen raschen Atemzügen. »Aber damit ist es nun vorbei. Lebt wohl.« Mit absichtlicher Langsamkeit hob er das Schwert hoch über den Kopf.
    Sano sah den Tod in Fürst Nius lodernden Augen und auf der schimmernden stählernen Klinge. Plötzlich, als sein Körper und

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