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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Tagebuch zeigen?«
    Zu Sanos Bestürzung schaute Midori ihn mit leerem Blick an. »Nein«, sagte sie. »Meine Stiefmutter hat es zerrissen. Warum wollt Ihr es überhaupt sehen? Das Tagebuch hat lediglich bewiesen, daß Yukiko diesen Noriyoshi nicht gekannt hat. Das habe ich Euch doch schon gesagt! Weshalb sollte sie mit einem Mann shinjū begehen, den sie nicht einmal kannte? Ist das nicht Beweis genug? Aber Ihr werdet nach ihrem Mörder suchen, nicht wahr?«
    Es war eine einzige, bittere Enttäuschung für Sano. Er machte zwei Schritte den Hang hinunter und wandte das Gesicht von Midori ab, damit sie seine Verzweiflung und Hilflosigkeit nicht sehen konnte. Was für eine tragische Verschwendung diese Reise doch gewesen war! Alles das nur, um von einem kleinen, schwatzhaften Mädchen zu erfahren, daß Yukiko Noriyoshis Namen nicht erwähnt hatte – in einem Tagebuch, das nicht mehr existierte.
    Zorn stieg in Sano auf. Doch er galt nicht Midori, die ihn irregeführt hatte, sondern ihm selbst, da er sich zuviel erhofft hatte. Er mußte sich zwingen, sich zu dem Mädchen umzudrehen. »Stand noch irgend etwas in dem Tagebuch?« fragte er mit leiser Stimme.
    Zum ersten Mal, seit sie sich getroffen hatten, machte Midori einen verunsicherten Eindruck. Sie zog die Schultern hoch, starrte zu Boden und murmelte: »Nein. Nichts.«
    Sano erkannte sofort, daß sie log. Es gab noch etwas anderes. Irgend etwas, das für seine Nachforschungen von grundlegender Wichtigkeit war. Am liebsten hätte er gefragt: Was stand noch in dem Tagebuch? Sagt es mir! Statt dessen kniete er neben Midori nieder.
    »Selbst Dinge, die unwichtig erscheinen, können sich später als hilfreich erweisen«, sagte er. »Wenn Ihr wollt, daß ich den Mörder Eurer Schwester finde, müßt Ihr mir alles erzählen.«
    Keine Antwort.
    »Schaut mich an, Midori.«
    Sie seufzte und erwiderte feindselig seinen Blick. »Es hat nichts mit Yukikos Tod zu tun«, sagte sie trotzig. »Es ist eine Familienangelegenheit.«
    Offenbar hatte Midori bis jetzt noch nicht die Möglichkeit erkannt, daß einer ihrer eigenen Verwandten der Mörder Yukikos sein konnte. Jetzt aber beobachtete Sano, wie sich plötzliches Begreifen auf ihrem Gesicht abzeichnete. Als wollte sie zurückweichen, beugte sie ihren kleinen Körper auf dem Baumstamm nach hinten. In ihren Augen lag das stumme Flehen, ihre Ängste zu vertreiben.
    Sano zögerte. Er wollte nicht, daß dieses Mädchen noch mehr Schmerz erleiden mußte als bisher schon. Er hatte Verständnis dafür, daß die Treuepflicht Midori auferlegte, Familiengeheimnisse zu wahren; doch ihm war klar, daß er diesen Panzer des Schweigens durchbrechen mußte, um die Wahrheit zu erfahren.
    »Eure Familienangelegenheiten könnten sehr viel mit Yukikos Tod zu tun haben«, sagte er, so ruhig es ihm möglich war.
    Midori biß sich auf die rissigen Lippen, bis sie aufplatzten und ihr Blut übers Kinn lief. Schließlich sagte sie mit dumpfer, monotoner Stimme: »Am Tag vor ihrem Tod hat Yukiko in ihr Tagebuch geschrieben, sie könne sich nicht entscheiden, ob sie erzählen solle, was sie über … jemanden wußte. ›Reden ist Verrat‹, hatte sie geschrieben, und ›Schweigen ist Sünde‹. Als ich diese Worte gelesen hatte, habe ich nachgeblättert, auf wen oder was sie sich bezogen haben.« Midori hielt inne. »Es war unser Bruder Masahito.«
    Der junge Fürst Niu. Ein Erpressungsopfer Noriyoshis. Außerdem hatte seine tote Schwester Einfluß auf ihn gehabt – Yukiko, die offenbar ein ausgeprägtes Gefühl dafür besessen hatte, was richtig und was falsch war. Ob Yukiko ihren Bruder gedrängt hatte, irgendeine Missetat zu gestehen? So wie die kleinen Mädchen, nachdem sie den Glühwürmchenkäfig zerbrochen hatten?
    Masahito. Er war gerissen genug, die Morde zu begehen und einen shinjū vorzutäuschen. Ein Fürstensohn, der viele verläßliche Helfer aufbieten konnte. Ein junger Mann, der vielleicht so verrückt war wie sein Vater. Der Sohn einer mächtigen Frau, die ihren Einfluß dazu benutzen konnte, ihn vor dem Gesetz zu schützen. Und der zum Schluß so verzweifelt war, daß er noch einmal gemordet hatte, um unerkannt zu bleiben?
    Das Mosaik fügte sich allmählich zu einem Bild, dessen Schlüssigkeit in Sanos Augen höchst zufriedenstellend war. Nur ein Stückchen fehlte noch.
    Mühsam hielt Sano seine wachsende Erregung im Zaum. »Was hat Yukiko über Masahito gewußt, Midori?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Jetzt wirkte sie wieder

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