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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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regiert werden. Die Diener flüstern, Vater könne keine selbständigen Entscheidungen mehr treffen. Sie behaupten, er sei … nicht mehr richtig im Kopf und daß es von Jahr zu Jahr schlimmer würde.«
    Plötzlich erinnerte Sano sich an den zweiten Spitznamen des alten Fürsten Niu: »verrückter kleiner Daimyō«. Er hatte Gerüchte über erschreckende Geschehnisse in der Provinz Satsuma gehört: über die Orgien des Fürsten, über seine Tobsuchtsanfälle, wenn er in wildem Galopp über das Gelände seines Schlosses ritt und mit dem Schwert jeden niederhaute, der das Pech hatte, ihm in den Weg zu geraten. Falls Midori recht hatte, daß Fürst Nius Macht gewissermaßen an seine Frau übergegangen war, würde dies den außergewöhnlichen Einfluß der Fürstin erklären. Sano fragte sich, ob noch jemand aus dem Niu-Klan die unberechenbare, gewalttätige Veranlagung des Fürsten besaß. Der junge Fürst Masahito vielleicht, der seinem Vater körperlich so sehr ähnelte? Doch die Art und Weise der Morde an Yukiko, Noriyoshi und Tsunehiko offenbarten eine ganz andere Mentalität als die des Fürsten: kühl, überlegt, berechnend.
    »Weshalb werdet Ihr bestraft?« fragte Sano das Mädchen, um das Gespräch von diesem zwar interessanten, jedoch zweitrangigen Thema fortzulenken.
    »Ich habe gegen die Befehle meiner Stiefmutter verstoßen, indem ich Yukikos Zimmer betreten und mit Euch gesprochen habe – und sie will dafür sorgen, daß ich nie mehr mit Euch reden kann.«
    Also stimmte deine Vermutung, ging es Sano durch den Kopf.
    »Sie will verhindern, daß ich jemandem erzähle, was ich in Yukikos Tagebuch gelesen habe«, fuhr Midori fort.
    Gespannt beugte Sano sich zu ihr vor. Hier endlich war der Beweis zu finden, den er suchte – und er stammte von Yukiko selbst. Zumindest konnte er der Wahrheit nun so nahe kommen, wie es überhaupt möglich war. »Was habt Ihr denn gelesen?« fragte er und bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen, um Midori nicht zu ängstigen.
    Midori zog sich Sanos Umhang straffer um die Schultern. »Na ja … Yukiko hatte davon geschrieben, wie wir Glühwürmchen gefangen haben. Und über Masahitos Mannbarkeitsfeier.«
    Das Mädchen schilderte beide Tagebucheinträge eingehender. Offensichtlich genoß sie Sanos Aufmerksamkeit, denn sie erzählte ihm lang und breit von beiden Geschehnissen. Sano ließ das Mädchen reden, wenngleich ihm die Kälte und das rasch verblassende Tageslicht beim Gedanken an den Abstieg ins Tal zunehmend Unbehagen bereiteten. Aber er wußte, daß nur ein guter Zuhörer an wertvolle und manchmal unerwartete Informationen gelangte. Doch ein Teil seiner Aufmerksamkeit blieb auf den Pfad gerichtet; noch immer konnten die bewaffneten Mönche erscheinen.
    »Den Namen von diesem Noriyoshi habe ich im Tagebuch nirgends entdeckt«, sagte Midori. »Kein einziges Mal! Und ich weiß, das Yukiko keine Heiratsabsichten hatte. Sie hat immer gesagt, daß ein Mädchen bereit sein muß, zu warten, bis man den richtigen Mann für sie findet. Außerdem – wie hätte sie sich mit diesem Noriyoshi treffen sollen? Yukiko ging nur in Begleitung von Anstandsdamen aus und niemals am Abend.« Plötzlich runzelte Midori die Stirn. »Bis auf diesen einen Abend …«
    Sano war froh, daß er Midori hatte reden lassen, ohne sie zu unterbrechen. »Habt Ihr Yukiko an dem Abend ausgehen sehen, bevor sie ermordet wurde? Hat sie in ihr Tagebuch geschrieben, wohin sie wollte und aus welchem Grund?«
    Doch Midoris Antwort war eine Enttäuschung. »Nein. Es war nicht der Abend vor ihrem Tod. Er war im vergangenen Monat. In der Vollmondnacht. Ich habe Yukiko nicht fortgehen sehen, aber ich habe beobachtet, wie sie am nächsten Morgen in aller Frühe heimgekommen ist. Und ich hatte keine Zeit mehr, diesen Teil des Tagebuchs zu lesen – meine Stiefmutter hat mich daran gehindert. Deshalb weiß ich nicht, wo Yukiko in dieser Nacht gewesen ist.«
    Vergangenen Monat. Zu einem vollkommen falschen Zeitpunkt. Sano seufzte. Allmählich verlor er das Interesse. Er hatte ohnehin den Verdacht, daß Yukiko auf dem Anwesen der Nius ermordet und daß ihre Leiche anschließend fortgeschafft worden war.
    Entschlossen, die letzte Chance zu nutzen und Midori doch noch sachdienliche Informationen zu entlocken, sagte er: »Als wir uns in Edo unterhielten, habt Ihr gesagt, Ihr hättet den Beweis, daß Yukiko ermordet wurde. Was für ein Beweis war das? Eine Eintragung in Yukikos Tagebuch? Könnt Ihr mir dieses

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