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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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gefaßt und – anders als zuvor – überzeugt von dem, was sie sagte. »Ich weiß es nicht. Yukiko hat geschrieben, daß …«
    Midori runzelte die Stirn und biß sich auf die blutende Lippe, als sie sich zu erinnern versuchte. Schließlich sagte sie: »Was Masahito getan hat, wird mit dem Tode bestraft, hat Yukiko geschrieben. Wahrscheinlich würde es nicht nur ihn allein treffen, sondern unsere ganze Familie, die seine schreckliche Strafe teilen müßte, weil das Gesetz es so verlangt. Yukiko hat geschrieben, daß der Gedanke an den Tod ihr Herz mit Furcht erfüllt. Doch sie war eher bereit zu sterben, als in Schmach und Schande zu leben, weil die Pflicht es von einer Samurai-Frau so verlangt. Und für Yukiko waren Pflicht und Ehre wichtiger als die Treue zu unserer Familie, selbst auf die Gefahr hin, daß sie uns alle dazu verurteilte, Masahitos grausames Schicksal zu teilen, falls sie preisgab, was er getan hat.
    Mehr konnte ich nicht lesen, denn meine Stiefmutter kam ins Zimmer«, schloß Midori. »Ich weiß also nicht, was Masahito getan hat. Aber es muß etwas sehr Schlimmes gewesen sein.«
    Sano überlegte, was der junge Fürst sich hatte zuschulden kommen lassen, daß ihm eine so schwere Strafe drohte. Samurai waren nicht den gleichen Gesetzen unterworfen wie gemeine Bürger. Für gewöhnlich erlaubte man Samurai, seppuku zu begehen – rituellen Selbstmord –, statt für ihre Taten hingerichtet zu werden. Nur bei sehr schweren Verbrechen, die einen Verstoß gegen die Ehre beinhalteten, wurde ihnen ihr Status aberkannt, und sie wurden wie Gemeine behandelt. Brandstiftung, zum Beispiel, oder Verrat, mitunter auch Mord – dies hing von den Umständen ab – waren Verbrechen, die sowohl für den Täter als auch für alle Familienmitglieder, die an diesem Verbrechen beteiligt waren oder auch nur davon gewußt hatten, die Todesstrafe nach sich ziehen konnten. Doch ohne genauere Informationen konnte Sano nur Vermutungen darüber anstellen, was Fürst Niu getan haben könnte. Aber er bezweifelte nicht, daß die Notwendigkeit, seine Tat geheimhalten zu müssen, für Masahito ein Motiv für die Morde an Yukiko, Noriyoshi und letztendlich auch Tsunehiko war.
    »Masahito hat Yukiko ermordet, nicht wahr?« fragte Midori. »Weil er verhindern wollte, daß sie von seiner Tat berichtet.«
    Sano, der die Gefühle des Mädchens schonen wollte, erwiderte: »Es kann auch ganz anders gewesen sein. Schließlich haben wir nur Yukikos schriftliche Aussage – und die wurde vernichtet. Vielleicht hatte sie irgend etwas mißverstanden. Oder sie hat ihrem Tagebuch nicht die Wahrheit anvertraut.« Das Gebot der Unvoreingenommenheit zwang Sano, beide Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen.
    Ein Hoffnungsschimmer erschien in Midoris Augen. Dann aber schüttelte sie den Kopf und betastete ihren kahlgeschorenen Schädel. »Nein«, sagte sie mit trauriger Stimme. »Yukiko hätte niemals gelogen. Und sie muß sich dieser Sache sicher gewesen sein. In den letzten Wochen vor ihrem Tod war sie schrecklich nervös.«
    Midori zog die Knie an die Brust, als wollte sie sich trösten und wärmen zugleich. Wiederum hatte Sano Mitleid mit diesem Mädchen, der verhätschelten Tochter eines Daimyō, die man gegen ihren Willen an einen Ort geschickt hatte, den sie haßte, um dort ein Leben in Knechtschaft und Entsagung zu führen. Es war das Schicksal vieler Mädchen; doch im Falle Midoris gab es einen schrecklichen Unterschied. Andere Mädchen, die in die Prostitution verkauft oder mit einem grausamen Ehemann verheiratet wurden, konnten Trost finden, indem sie sich an den Gedanken klammerten, ein heiliges Opfer zu bringen, und indem sie voller Liebe die Familien idealisierten, die sie zurückließen. Midori konnte weder das eine noch das andere; was ihre Familie betraf, mußte sie mit dem Schlimmsten rechnen.
    Es schmerzte Sano, noch mehr zum Leid des Mädchens beizutragen. Er wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickelt. Doch wie diese Sache ausgehen mochte – auch unschuldige Menschen würden leiden müssen, falls seine Nachforschungen erfolgreich waren. Dies wurde Sano zum ersten Mal deutlich.
    »Es tut mir leid, daß ich …«, begann er, verstummte dann aber. Jedes Wort des Trostes und Mitgefühls würde sich banal und verlogen anhören.
    Midori erwiderte nichts. Sie starrte hinunter auf das Dorf. Auf ihrem verhärmten Gesicht spiegelte sich tiefes Leid.
    Das Läuten der Tempelglocke erklang so unvermittelt in der Stille, daß beide

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