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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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den Pavillons zu den Seitengebäuden führten, ein Stück über dem Boden befanden. Sano konnte den engen, von Stützpfeilern gesäumten Tunnel entlangblicken, welcher von dem Pavillon, unter dem er sich verbarg, wegführte; am Ende dieses Tunnels sah er helles Licht. Langsam, vorsichtig kroch Sano auf dieses Licht zu. Auf halbem Weg vernahm er die Stimmen der Wachen auf der Veranda. Ob sie ihn hörten? Unter dem Gang war es dunkler als unter dem Pavillon, und Sano wischte mit der Hand vor sich über den Boden, während er sich langsam voranbewegte. Sollte er gegen ein unerwartetes Hindernis stoßen oder in ein Loch stürzen, würde er die Wachen alarmieren.
    Er hatte soeben die große freie Fläche unter dem Seitenhaus erreicht, als er Hufschlag aus Richtung des Tores hörte. Sano preßte sich flach auf den Boden, die Arme über dem Kopf. Die Holzdielen über ihm knarrten, als jemand im Innern des Hauses auf und ab ging. Schritte erklangen auf dem mit Kies gedeckten Gehweg.
    Ein Mann rief: »Seid gegrüßt, Kameraden! Warum habt ihr so lange gebraucht? Der Fürst wartet schon.«
    Die Antwort konnte Sano nicht verstehen. Die Wächter traten vor, um die Ankömmlinge in Empfang zu nehmen, die knapp außer Hörweite stehengeblieben waren. Sano kroch rasch zur Vorderseite des Hauses. Nun hörte er laute Stimmen, die wie bei einem Streit erhoben waren. Er konnte einige Satzfetzen auffangen:
    »… soll das bedeuten?«
    »… statt den weiten Weg hierher zu kommen … hätte die Ware sonst gar nicht geliefert … wußte gleich, daß es ihm nicht gefällt, aber …«
    Sano spähte zwischen den Stützpfeilern hindurch und sah acht Männer, die sich auf dem Gehweg versammelt hatten. Die beiden Posten standen vier berittenen Samurai und zwei Trägern mit einer Sänfte gegenüber. Der graue Spätnachmittag löste sich allmählich auf und wurde zu einem schwarzgrauen Zwielicht, so daß Sano die Gesichter der Ankömmlinge nicht deutlich sehen konnte und auch nicht zu erkennen vermochte, ob sie ein bestimmtes Wappen an der Kleidung trugen. Doch der Wachtposten hatte sie als Kameraden begrüßt; demnach gehörten auch die Eingetroffenen zu Fürst Nius Männern. Sano wünschte sich, sie würden näher kommen, so daß er besser verstehen konnte, was sie sagten.
    Plötzlich erklang aus der Sänfte ein lautes Klopfen. Die Träger stellten sie zu Boden. Die Tür wurde geöffnet, und ein kleiner, gebeugter Mann sprang heraus.
    »Bringt mich sofort zu Fürst Niu!« rief er so laut, daß auch Sano seine Stimme klar und deutlich hören konnte.
    Die Wachtposten griffen nach dem Mann, doch er wich ihnen aus und stürmte auf das Haus zu. Die berittenen Samurai galoppierten los und versperrten ihm mit den Pferden den Weg zur Tür. Der Mann blieb so abrupt stehen, daß er um ein Haar gestürzt wäre. Die Wachtposten packten ihn. Als sie den Mann zurück zur Sänfte zerrten, stolperte er und fiel zur Seite, wobei er Sano das Gesicht zuwandte.
    Selbst aus dreißig Schritt Entfernung erkannte Sano das große, flammend rote Muttermal, das sich von der Oberlippe über den Mund bis hinunter zum Kinn erstreckte. Der Mann war Kirschenesser, der shunga- Händler und einstige Arbeitgeber Noriyoshis.
    Wieder lächelte Sano, als ihm klar wurde, was Kirschenessers Erscheinen zu bedeuten hatte. Welches Geschäft den Händler hierhergeführt haben mochte – auch Noriyoshi mußte einst damit zu tun gehabt haben.
    Oh, wenn ich doch erfahren könnte, um was für ein Geschäft es sich handelt, dachte Sano. Er war sicher, daß Kirschenesser nicht den weiten Weg von Yoshiwara bis hierher gekommen war – noch dazu unaufgefordert –, nur um Kunstgegenstände abzuliefern.
    Die Wachtposten stießen Kirschenesser zur Sänfte, und der kleine Mann sank daneben zu Boden.
    »Ladet die Ware aus, und bringt diesen Abschaum zurück nach Yoshiwara!« befahl einer der Wachtposten den Trägern.
    »Ich gehe nicht eher, bis ich mit Fürst Niu gesprochen habe«, rief Kirschenesser. Als die Träger ihn ergreifen wollten, schlug und trat er um sich.
    Sano hörte, wie die Tür des Hauses geöffnet wurde. Dann erklang Fürst Nius herrische Stimme: »Was geht hier vor?«
    Kirschenesser rappelte sich auf. »Welch eine Freude, Euch zu sehen, erhabener Fürst«, sagte er affektiert und verbeugte sich. »Mit so herzlicher Gastfreundschaft empfangen zu werden, ist wirklich eine große Ehre.« Selbst unter diesen Umständen konnte – oder wollte – Kirschenesser nicht auf seine vorwitzigen

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