Der Kirschbluetenmord
gewußt. Und Fürst Niu hätte Noriyoshi weder Bestechungsgelder gezahlt, noch hätte er ihn ermordet, um ein solches Geheimnis zu wahren.
Dann griff Fürst Niu mit der freien Hand hinter sich und packte ein Messer. Er hielt es in die Höhe, mit der Spitze nach oben, so daß die Klinge im Kerzenlicht funkelte. Gebannt starrte er die Waffe an. Wieder fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Die Hand an seinem Glied bewegte sich schneller, und mit einer bedächtigen, langsamen Bewegung senkte er das Messer. Er drückte es dem bewußtlosen Jungen an den Hals. Mit einer ebenso langsamen Bewegung zog er die Klinge über das rosige Fleisch. Ein dünner Blutfaden quoll aus der Wunde und färbte Haut und Klinge rot.
Von unsäglichem Entsetzen gepackt, stand Sano wie angewurzelt da, so daß er zu spät bemerkte, daß hinter ihm jemand aufgetaucht war.
21.
V
or ihm stand eine Frau, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie öffnete den Mund, um zu schreien. Sano handelte instinktiv. Blitzartig packte er die Frau und zerrte sie vom Haus fort in den Wald. Er drückte sie fest an sich; die eine Hand preßte er ihr auf den Mund, mit der anderen hielt er ihr den Dolch vors Gesicht. Sie kreischte, trat nach ihm und wehrte sich verbissen. Sano konnte spüren, wie das Herz der Frau wild klopfte, als sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien.
»Ich tue Euch nichts«, flüsterte Sano ihr mit drängendem Unterton ins Ohr. »Bitte, hört auf zu schreien.«
Gnädiger Buddha, er wollte die Frau nicht töten! Aber er durfte auch nicht zulassen, daß sie Alarm schlug. Er schaute sie an – und plötzlich erkannte Sano ihr Gesicht: Die Frau war das Hausmädchen der Nius.
»O-hisa! Bestimmt erinnert Ihr Euch an mich – Sano Ichirō. Ich bin im yashiki der Nius gewesen und auf Yukikos Totenfeier. Seid Ihr still, wenn ich Euch loslasse?«
Ein Nicken, ein klägliches Stöhnen. O-hisa wehrte sich nicht mehr. Behutsam ließ Sano sie los, bereit, sie jeden Moment wieder zu packen – oder die Flucht zu ergreifen.
O-hisa wandte ihm das Gesicht zu. Dann schlang sie die Arme um den Körper, als würde sie frieren, und wies mit einem Kopfnicken auf das Haus.
»Der junge Herr … er tut es schon wieder, nicht wahr?« flüsterte sie und verzog das Gesicht, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Schon wieder? Soll das heißen, er bringt öfters Kinder zu seinem Vergnügen um?« Wieder packte Sano das Entsetzen, das er beim Anblick der Szene verspürt hatte, als Fürst Niu dem Jungen die Kehle durchschnitt. Er mußte diesen Jungen retten – falls es nicht schon zu spät war. Sano machte zwei Schritte in Richtung Haus; dann aber fielen ihm die Wachtposten ein, und er blieb stehen. Die Männer würden ihn töten, bevor er auch nur in die Nähe Fürst Nius gelangte. Doch er mußte eingreifen, selbst wenn er bei dem Versuch sein Leben ließ. Sano packte den Dolch und sprach ein stummes Gebet, auf daß ihm Mut und Kraft verliehen werde.
Bevor er ging, sich den Weg bis zu Fürst Niu freizukämpfen, wandte er sich noch einmal an O-hisa. Eine Frage lag ihm besonders am Herzen, ehe er dem Tod gegenübertrat.
»Hat Yukiko davon gewußt?« Sano vermutete, daß Noriyoshi die sexuellen Gewohnheiten Fürst Nius gekannt und den Fürsten gemeinsam mit Kirschenesser erpreßt hatte.
»Nein, nein!« widersprach O-hisa heftig und wedelte wild mit den Händen. Zuerst dachte Sano, sie wollte damit sagen, daß Yukiko nichts von den schrecklichen Vorlieben ihres Bruders gewußt habe. Dann aber fügte O-hisa hinzu: »Fürst Niu hat die Jungen nie getötet. Er hat ihnen nur Schnittwunden zugefügt und sie dann nach Hause geschickt.«
Sano glaubte ihr nicht. Er hatte die Wunde des Jungen gesehen – und Fürst Nius perverse Gier nach Blut. Sano rannte zum Haus und spähte durch das Astloch.
Fürst Niu kniete in der Mitte des Zimmers; den Rücken hatte er Sano zugekehrt. Er trug jetzt einen weißen Unterkimono. Neben ihm wickelten zwei Wachtposten den Körper des Jungen in eine Decke. Die Augen des Jungen waren geschlossen, doch er stöhnte leise. Die Schnittwunde, nun vom Blut befreit, war tatsächlich nur oberflächlich gewesen! Der Schnitt sah wie ein roter Faden aus, den der Junge um den Hals gewickelt trug.
Vor Erleichterung stieß Sano einen tiefen Seufzer aus. Weder er noch der Junge würden in dieser Nacht sterben. Sano schob den Dolch in die Scheide und kehrte zu O-hisa zurück.
»Ich hatte es zuerst auch nicht verstanden«,
Weitere Kostenlose Bücher