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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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statt der Baumwollfetzen, die ihre Mutter damals gesammelt hatte, wenn bei ihren Nähaufträgen ein bißchen Stoff übriggeblieben war. Und diese Puppen hier waren aus feinstem Porzellan, nicht aus Holz oder Stroh. Aber sie waren ja für die Töchter des Daimyō, nicht für sie selbst. Doch die Frauen, mit denen O-hisa zusammen war, beraubten dieses familiären Rituals aller Fröhlichkeit.
    Yasues knorrige, gichtgeplagte Finger konnten keine Nadel mehr halten. Sie hatte ihren Aufseherposten nur deshalb inne, weil sie einst der Familie der Fürstin Niu gedient hatte und mit nach Edo gekommen war, als ihre Herrin den Daimyō heiratete. O-hisa wußte, daß Yasues eigentliche Aufgabe darin bestand, dafür zu sorgen, daß Fürstin Niu alles erfuhr, was in den Frauengemächern vor sich ging.
    Neben Yasue saß ein Hausmädchen mit Namen O-aki. Sie war untersetzt, ernst und düster und hatte riesige Hände, die kräftig genug aussahen, um einem Ochsen damit den Hals umzudrehen. O-aki wurde von den anderen Dienern gemieden und gefürchtet; denn sie war ein weiblicher Spitzel, der sämtliche Fehler, alle Gerüchte, alle harmlosen Diebstähle und jedes unbotmäßige Auftreten der Dienerschaft bei der Fürstin meldete. Einmal hatte sie einen Küchengehilfen dabei ertappt, wie er Reis aus der Vorratskammer stahl. O-aki hatte dem Mann den Arm gebrochen, bevor sie ihn zu Fürstin Niu schleppte.
    Yasue schaute sich O-hisas Arbeit an. »Deine Stiche sind viel zu lang«, sagte sie mißbilligend und mit finsterem Gesicht. »Mach sie kleiner. Was bist du für ein nichtsnutziges Mädchen! Hat deine Mutter dich eigentlich gar nichts gelehrt?«
    »Es tut mir leid, Yasue -san .«
    Das Zimmer, in dem die Frauen saßen, war für gewöhnlich eine Insel der Ruhe im stürmischen Meer des yashiki. Wenngleich Yukikos Tod und die noch andauernde Trauerzeit der Feiertagsatmosphäre gewisse Beschränkungen auferlegten, waren die Vorbereitungen für die Feier des setsubun in vollem Gange. Als O-hisa aus der Sommervilla nach Edo zurückgekehrt war, hatte sie den Haushalt in einem beinahe chaotischen Zustand angetroffen.
    Noch immer konnte sie die anderen Diener hören, die sich beeilten, rechtzeitig mit dem Neujahrs-Hausputz fertig zu werden. Erwartungsvolle, aufgeregte Kinder kreischten, als sie einander über die Flure jagten. Helles Lachen erklang aus den Gemächern, in denen die Töchter und Konkubinen des Daimyō sowie deren Hofdamen wohnten; sie probierten die Kleider an, die sie heute abend auf den Feiern und Empfängen in den Villen der anderen Fürsten tragen würden. Abgehetzte Hausmädchen eilten umher und erfüllten die Wünsche der Damen: Sie ließen ihnen heiße Bäder ein, frisierten sie, massierten sie, brachten weitere Kleidungsstücke aus den Lagerräumen herbei und servierten Tee und Imbisse. Aromatische Essensgerüche drangen aus den Küchen, in denen die Köche so viele Mahlzeiten vorbereiteten, daß sie auch noch für den morgigen Tag reichten.
    O-hisa hatte damit gerechnet, sich in diesem allgemeinen Durcheinander aus dem Haus schleichen zu können, um sich mit Sano zu treffen. Nun aber sah es so aus, als bräuchte sie sich gar nicht an den hektischen Vorbereitungen für das setsubun- Fest zu beteiligen, und somit bestand auch keine Möglichkeit, die Villa rechtzeitig zu verlassen. Wie lange Sano wohl auf sie warten würde? Wie sollte sie ihn finden, falls er nicht mehr am vereinbarten Treffpunkt war? Hätte sie doch schon eher mit ihm gesprochen!
    Aber wann und wie hätte sie das tun sollen? Obwohl Fürst Niu noch nie mit O-hisa gesprochen hatte oder sonstwie hatte erkennen lassen, daß er wußte, daß sie Zeugin des Mordes an dem Jungen gewesen war, hatte man sie seit der Ermordung Yukikos genauestens im Auge behalten. Oft war sie über die Flure der Villa gegangen und hatte gehört, wie hinter ihr knarrend Türen geöffnet und wieder geschlossen wurden, als ob unsichtbare Beobachter jeden ihrer Schritte überwachten. Nie war sie allein auf Botengänge geschickt worden, nur in Begleitung anderer Dienstmädchen. Außerdem war O-aki in das Zimmer eingezogen, das O-hisa mit drei anderen Dienerinnen teilte. Und kaum war sie aus der Sommervilla zurückgekehrt, hatte sich das Netz der Überwachung noch straffer gespannt. Yasue und O-aki hatten sie an der Tür begrüßt und sie seither nicht mehr aus den Augen gelassen.
    O-hisa warf einen nervösen Blick auf die beiden. Was würde geschehen, wenn sie einfach aufsprang und davonrannte?

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