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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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sie sich halb um. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, als sie ihren Verfolger und den gnadenlosen Ausdruck in dessen Augen sah. Doch O-hisas Entsetzensschrei drang nie aus ihrer Kehle.
    Eine Schnur wurde ihr über den Kopf geworfen und spannte sich straff um ihren Hals. Grellrote Finsternis explodierte in O-hisas Hirn, während sie keuchend und würgend nach Atem rang. In ihrer Verzweiflung hob sie die Hände an den Hals und zerrte an der Schnur. Ihre Fingernägel gruben sich in ihr Fleisch. Das Blut dröhnte ihr in den Ohren. Sie biß sich die Zunge blutig. Blind packte sie nach den Händen des Angreifers, doch ihre Finger griffen ins Leere.
    »Hnnng! Hnnng! « stieß sie dumpf hervor, als sie kraftlos um Hilfe zu rufen versuchte.
    Doch niemand kam. Die Röte vor ihren Augen verwandelte sich in tiefe Schwärze. O-hisa spürte, wie sie sich in wirbelnden, immer schnelleren Kreisen zu drehen begann. Als gnädige Bewußtlosigkeit sich über sie senkte, stand ihr noch einmal das geliebte, goldene Bild ihres Zuhauses vor Augen, ihre Mutter und die Großmutter, die neben dem Herd saßen und nähten. Ihr Lächeln war lockend und voller Liebe, und O-hisa sehnte sich von ganzem Herzen danach, zu ihnen zu kommen. Mit der letzten Kraft, die ihr geblieben war, kämpfte sie um ihr Leben. Sie mußte es schaffen, sich zu befreien, um Mutter und Großmutter noch einmal wiederzusehen. Doch das Bild verblaßte rasch und erlosch, als es einem anderen wich.
    Dem Bild Yukikos. Strahlend und lächelnd und von unbeschreiblichem Mitgefühl erfüllt, streckte sie die Hand aus, um O-hisa im Tod willkommen zu heißen.

24.
    D
    er Palast von Edo beherrschte die bewaldete Hügelkuppe, auf der er sich erhob: eine große, befestigte Stadt innerhalb der Stadt, die in ihren gewaltigen steinernen Mauern den Shōgun Tokugawa Tsunayoshi, seine Familie, seine engsten Verbündeten und eine beachtliche Streitmacht aus Soldaten, Beamten und Dienern beherbergte.
    Sano ging hinauf bis zum schimmernden Wassergraben und betrachtete den Palast mit jener Ehrfurcht, die dieses Sinnbild der Tokugawa-Vorherrschaft schon immer in ihm erweckt hatte. Zum erstenmal wurde ihm die Verrücktheit Fürst Nius in vollem Ausmaß deutlich. Welcher vernünftige Mensch würde es wagen, diese Macht herauszufordern? Der Palast stand hier seit fast einhundert Jahren, und der Stärke seiner Verteidigungsanlagen nach zu urteilen, würde er mindestens noch ein weiteres Jahrhundert allen Angriffen trotzen. In Wachthäusern, die auf den Mauern standen, waren zahllose Samurai postiert; andere Posten bemannten die Aussichtstürme. Über den Mauern ragte der fünfstöckige Bergfried auf, ein viereckiger weißer Turm, der sich aus vielen kleineren Türmen zusammensetzte. Bogenschützen und Musketieren boten die zahlreichen Giebel und vergitterten Fenster die Möglichkeit, Schützenlinien zu bilden, und die verputzten Mauern und die Ziegeldächer vermochten sowohl Kugeln als auch Brandpfeilen zu trotzen. Auf Bodenhöhe befand sich das Haupttor, mit eisernen Platten gepanzert und von einem Bataillon Soldaten bewacht, die mit Musketen und Schwertern bewaffnet waren und den dichten Verkehrsfluß aus Ochsenkarren, Reitern und Fußgängern kontrollierten, der ins Schloß hinein und hinaus strömte.
    Als Sano die Besucher betrachtete – die meisten waren Samurai, die im Palast vermutlich irgendwelche rechtmäßigen Geschäfte tätigten –, fühlte er sich mehr als nur ein bißchen eingeschüchtert. Er war noch nie im Schloß gewesen; seine Familie war zu unbedeutend und sein Rang zu niedrig, als daß er sich dieser Ehre hätte erfreuen dürfen. Doch er wußte, daß sich irgendwo tief im Innern dieses Palasts die Zentrale des Spitzel-Netzwerks der Tokugawas befand. Dort trugen die metsuke sämtliche Informationen ihrer Agenten und Informanten zusammen, die über das ganze Land verstreut waren, werteten sie aus und leiteten die Ergebnisse an den Shōgun und dessen Berater weiter. Ihnen mußte Sano die Nachricht von der verräterischen Verschwörung überbringen.
    Noch immer zögerte er. Der Gedanke, die Brücke zu überqueren, bereitete ihm Unbehagen. Von Kirschenessers Aussage abgesehen, hatte er keinen Beweis, daß tatsächlich eine Verschwörung mit dem Ziel im Gange war, den Shōgun zu töten. Sano wußte nicht, wann, wo und wie der Attentatsversuch stattfinden sollte. Und auf die Behörden konnte er keinen Einfluß nehmen, mochte er noch so überzeugt davon sein, daß die Verschwörung

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