Der Kirschbluetenmord
Tod eines Mörders zu bedauern, den er so lange gesucht hatte; nun aber wünschte er sich von ganzem Herzen, Fürstin Niu wieder ins Leben zurückholen zu können. Für eine Woche, einen Tag oder auch nur für eine Stunde.
Denn wie konnte er ohne sie Fürst Niu aufhalten und sich selbst entlasten?
28.
A
ls Eii -chan beobachtete, wie Rinnsale aus Blut über sein Schwert liefen und zu Boden tropften, tat sich eine unerträgliche Leere in seinem Innern auf. Das Zimmer schien zu verschwimmen und undeutlich zu werden, bis er sich seiner Umgebung kaum noch bewußt war. Nun war er allein auf der Welt. Ganz allein. Schrecklich und erschreckend allein, so wie damals, bevor Fürstin Niu in sein Leben getreten war.
Eii -chan dachte an jenen längst vergangenen Tag im Hof der Villa des Vaters seiner toten Herrin. Er war zwölf Jahre alt gewesen – schon damals häßlich und riesengroß für sein Alter, schrecklich schüchtern, empfindsam und unbeholfen. Ein verwirrtes Kind im Körper eines Mannes, das noch nicht gelernt hatte, wie man sich unter Kontrolle behielt. Ein einsamer Ausgestoßener, der versucht hatte, die Tränen zurückzuhalten, als die anderen jungen Samurai ihn mit ihren Holzschwertern angriffen.
»Tötet den häßlichen Dämonen!« riefen sie.
Das Mädchen erschien in dem Augenblick, als Eii -chan die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Schon in Alter von sieben Jahren wunderschön und herrisch zugleich, hatte sie Eii -chans Peiniger mit einem einzigen Blick in die Flucht geschlagen. Er starrte sie an, zu dumm und zu erstaunt, als daß ihm irgendeine Bemerkung eingefallen wäre.
Doch sein Schweigen schien ihr zu gefallen. Sie lächelte, zeigte mit einem winzigen Finger auf ihn und sagte mit ihrer hohen Kleinmädchenstimme: »Du sollst mein Diener sein.«
Eii -chan hatte nie begriffen, weshalb sie gerade ihn aus den Gefolgsleuten ihres Vaters erwählt hatte; nie hatte er sich gefragt, weshalb diese glückliche Fügung gerade ihm zuteil geworden war. Er wußte nur, daß sein Leben sich seither auf wundersame Weise verändert hatte. Unter dem Schutz der jungen Fürstin erwarb Eii -chan sich Ansehen und Achtung. Kein Kind wagte es mehr, sich über ihn lustig zu machen; kein Erwachsener beschimpfte ihn mehr seiner Dummheit wegen. Und Eii -chan vergalt es seiner Herrin: Er vervollkommnete seine Kampftechnik, so daß er sie vor jedem Gegner beschützen konnte. Und jedem ihrer Befehle gehorchte er auf der Stelle.
Nachdem die Fürstin geheiratet hatte, half er ihr, den Haushalt des Daimyō zu führen; für sie bespitzelte er die Bediensteten, und für sie bestrafte er jene, die sich etwas hatten zuschulden kommen lassen. Er liebte sie, erbat sich als Gegenleistung aber lediglich die Ehre, ihr dienen zu dürfen. Es war seine größte Angst, ihr Mißfallen zu erregen, indem seine Dienste nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfielen. Mit Freuden hatte er Noriyoshi für die Fürstin ermordet und O-hisa und sogar Fräulein Yukiko, die er ihrer Schönheit und Freundlichkeit wegen sehr gern gehabt hatte. Die Entdeckung, statt Sano irrtümlich diesen Jungen, Tsunehiko, getötet zu haben, war die größte Katastrophe in Eii -chans Leben gewesen.
Bis jetzt. Denn er hätte sich niemals vorstellen können, in Ausübung eines Befehls der Fürstin einen derart schrecklichen inneren Schmerz zu empfinden wie in dem Moment, als er sein Schwert gegen sie gerichtet hatte.
Und nun war sie fort. Eii -chan hatte nichts und niemanden mehr, für den zu leben sich gelohnt hätte. Die Trauer schnürte ihm die Kehle zu, und der Druck unvergossener Tränen wurde so groß, daß er glaubte, der Kopf würde ihm zerspringen. Er blickte auf den Körper Fürstin Nius hinunter und sah statt des lächelnden Gesichts eines siebenjährigen, hübschen Mädchens …
Verschwommen wurde ihm bewußt, daß jemand seinen Namen rief. Er blinzelte, und schlagartig nahm seine Umgebung wieder Gestalt an. Der junge Mann, Sano, den er bereits vergessen hatte, stand vor ihm. Verloren in der Leere aus Trauer und Hoffnungslosigkeit, konnte Eii -chan keinen Sinn in den Worten Sanos erkennen oder den Grund für dessen Erregung verstehen. Doch Sanos Anwesenheit erinnerte ihn daran, daß er noch einen allerletzten Auftrag für die Fürstin erfüllen mußte.
» Eii -chan , könnt Ihr mich hören?« rief Sano mit wachsender Verzweiflung. »Könnt Ihr verstehen, was ich sage?«
Durch den Tod der Fürstin war Sanos Chance, seine Unschuld zu beweisen und mit dem
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