Der Klabautermann
hob beide Arme und ließ sie an den Körper zurückfallen. »Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Eine sofortige Durchsuchung aller Decks hat nichts gebracht.«
»Und das trauen Sie Konsul Fehrenwaldt zu, meine Herren?« fragte Dr. Schwengler fassungslos.
»Fehrenwaldt hat die Kabine 014, direkt neben der hinteren Tür zum Promenadendeck. Er könnte also nach dieser Lachattacke blitzschnell verschwinden.«
»Und dieses ganze Mißtrauen rührt nur daher, daß Herr Fehrenwaldt aufgrund seiner Gesichtsverletzung eine Zahnprothese hat, deren spezielle Form möglicherweise mit dem Abdruck in dem Hallau-Manuskript identisch sein könnte. Könnte! Ich finde das empörend!« Dr. Schwengler atmete heftig, seine Erregung war echt. »Ich liefere Ihnen morgen einen Beweis oder eine Niederlage, und dann möchte ich in dieser Sache nicht mehr belästigt werden. Aber ich sage Ihnen schon jetzt vorweg: Herr Fehrenwaldt ist nicht der Papierbeißer!«
»Dann wären wir mit allen Weisheiten am Ende.« Kapitän Hellersen trank sein Whiskyglas leer. »Haben Sie eine Erklärung für alle diese Vorfälle, Doktor?«
»Der Klabautermann …«
Hellersen nickte schwer und goß sich das Glas wieder voll.
»So langsam beginne auch ich, daran zu glauben«, sagte er voll Sarkasmus. »Wenn wir bis Singapur das Rätsel nicht gelöst haben, sind wir alle erbärmliche Versager, meine Herren!«
Man sprach schon gar nicht mehr über solche kleine Dinge wie: zehn kleine Sahne-Quark-Teilchen fehlten in der Bäckerei, neun Kiwis wurden auf einem neuen Kiwibrett vermißt, ein Rosinenbrot verschwand, vier Orangen, ein Paket mit Feigen … Zwar tobte Magazinverwalter Rudi Faster mit noch nie gehörten Flüchen, und der erste Bäcker Francois Duprét drohte mit der Todesstrafe, wenn er den Lumpen erwischen sollte, aber zu großen Untersuchungen riß das alles nicht mehr hin. Sobald eine neue Meldung Hoteldirektor Losse erreichte, heftete er sie seufzend in eine neu angelegte Spezialmappe ab – das war alles, was man tun konnte. Man sagte sich jetzt: Das haben wir ja erwartet; ein ›Blinder‹ muß schließlich auch leben und hat Hunger. Was man ihm allerdings übelnahm, war sein flegelhaftes Benehmen; überall verstreute er die Schalen der Orangen und Kiwis, als wolle er provokant damit ausdrücken: Seht, ihr Flaschen, ich bin unter euch, und keiner sieht mich! Ich kann tun, was ich will, niemand hindert mich daran. Ihr sammelt brav meine Spuren auf, müßt euch zu den Schalen bücken – und irgendwo habe ich mich versteckt und sehe euch zu und lache mich krumm.
»Diese Ohnmacht ist das Schrecklichste!« sagte Kapitän Hellersen, als das Schiff für einen Landausflug den Hafen Telukbetung auf Sumatra anlief und zehn Busse fast alle Passagiere für sieben Stunden von Bord holten. Er stand mit dem Leitenden Ersten Hartmann auf der Brückennock und blickte auf die Pier und die abfahrenden Busse. »Man sollte beten, daß jetzt auch der ›Blinde‹ von Bord geht und drüben bleibt.«
»Das wäre zu schön, Herr Kapitän. Aber ich bezweifle es.«
»Und warum?«
»Der ›Blinde‹ will nach Singapur. Was soll er auf Sumatra? Singapur ist das Tor zur Welt, zum goldenen Leben, ist die Sehnsucht aller vom Schicksal Getretenen.«
»Mensch, Hartmann, Sie werden ja lyrisch!« Hellersen lachte kurz auf. »Mir will immer noch nicht in den Kopf, warum wir den Kerl trotz aller Kontrollen nicht bekommen.«
»Er steckt voller Tricks. Er muß ein intelligenter Bursche sein. Um ganz ehrlich zu sein: Manchmal warte ich geradezu darauf, daß er sich erneut bemerkbar macht. Was hat er nun wieder angestellt? Wie läßt er uns schon wieder ins Leere laufen? Was hat er sich da ausgedacht?«
»Sie haben Nerven, Hartmann.« Hellersen sah seinen Ersten von der Seite an. »Am Ende bewundern Sie den Burschen noch?«
»Er beschert uns zumindest ein neues Erlebnis. Ich habe so etwas noch nicht mitgemacht.«
»Ich auch nicht, Hartmann, aber ich hätte gern darauf verzichtet. Lieber ein richtiger Orkan als so etwas! Bei Windstärke zehn weiß ich, wo ich dran bin – hier nicht. Und das regt mich verdammt auf.«
Es gab bis Singapur noch einiges, was Hellersen maßlos aufregen sollte.
Telukbetung auf Sumatra ist ein Hafen, den man nicht unbedingt kennen muß.
Auf große Schiffe ist man hier nicht gefaßt, und wenn sich wirklich mal ein ausgewachsenes Schiff wie dieser Luxuskreuzer zwischen die Sampans und Küstenfrachter schiebt und an der Pier festmacht, dann
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