Der Klabautermann
Er hatte festgestellt, daß Fehrenwaldt im Gegensatz zu manchen anderen über sein neu gestaltetes Gesicht sprechen konnte. »Sie haben hinterher nie Beschwerden gehabt?« fragte er.
»Und wie! Über zehn Jahre lang! Bei jedem Witterungswechsel schien mir der Kopf zu platzen. Ob es ein Gewitter gab oder Sonnenschein, Regen oder Hagel, Schnee oder wahre Hundstage – ich spürte es immer im voraus. Das ging so weit, daß ich lebensmüde wurde. Bis man entdeckte, daß in meinem Mund zweierlei Metalle waren, die den sogenannten Magneteffekt auslösten. Also wieder eine Serie von Operationen … aber seitdem habe ich Ruhe.«
»Besteht Ihr Kiefertransplantat aus Eigenknochen oder Plastik?« fragte Dr. Schwengler.
»Aus Eigenknochen. Aus der Hüfte.«
»Es ist zwar unverschämt, was ich jetzt sage … aber ist es möglich, daß ich mir das mal ansehe?«
»Warum nicht?« Fehrenwaldt war zugänglicher, als es Schwengler erwartet hatte. »Wo? Im Hospital? Morgen vormittag gegen zehn Uhr? Paßt es Ihnen dann, Doktor?«
»Die beste Zeit. Halten wir das fest: Morgen früh um zehn Uhr. Und da kommt Ihr Montrachet, gnädige Frau. Wohl bekomm's!«
»Sie sind herzlich dazu eingeladen, Doktor!« sagte Konsul Fehrenwaldt. »Erzählen Sie mir, was Sie bei Dr. Delhano erlebt haben. Das war ja nach meiner Zeit … Man hat ihn ja später kräftig angefeindet.«
»Und wie!« Dr. Schwengler konnte jetzt mitreden; den Kollegenkampf gegen Delhano hatte er damals genau verfolgt. Ob das in Wuppertal oder in Rio war, danach wurde jetzt nicht mehr gefragt. Man mußte eben alles so erzählen, als sei man zu jener Zeit in Brasilien gewesen. »Wir waren oft entsetzt über die unsachlichen Angriffe. Andererseits muß man zugeben, daß manche Operationen von Delhano geradezu abenteuerlich waren.«
»Aber erfolgreich!«
»Das regte ja am meisten auf. Ein einziger Todesfall nur, und Delhano wäre erlegt worden. Seine Kollegen benahmen sich ja wie die Jäger.«
»So war es.« Frau Fehrenwaldt erregte sich in der Erinnerung sehr und atmete heftig. »Müssen Genies eigentlich immer verfolgt werden?«
»Anscheinend … sonst wären sie keine Genies.«
»Eine vortreffliche Antwort.« Fehrenwaldt hob sein Glas und stieß mit Dr. Schwengler an. »Wie klein die Welt ist. Da kommt man auf ein Schiff, und wer ist auch dabei? Ein Hospitant von Delhano! Sie reisen allein?«
»Nein. Meine Frau ist ebenfalls an Bord.«
»Wo ist sie? Krank?«
»Keineswegs! Sie hat an unseren Tisch einige Bekannte geladen, da bin ich für heute ausgezogen.« Es war erstaunlich, wie glatt und glaubwürdig Schwengler lügen konnte. »Ein Mann allein unter fünf Frauen: So stark sind meine Nerven nicht mehr.«
Sie lachten gemeinsam, tranken wieder einen Schluck Wein und fanden sich gegenseitig ungemein sympathisch.
»Ich möchte einen Vorschlag machen«, sagte Konsul Fehrenwaldt. »Wir bleiben dabei: Sie und Ihre liebe Gattin möchte ich für den Rest der Reise an unseren Tisch bitten. Einverstanden, Doktor?«
»Mit Freuden.« Liebe Gattin, dachte Schwengler. Ihr kennt sie noch nicht. Selma ist in Gesellschaft ein Engel, aber wehe, sie ist wieder unter Deck in der Kabine. Mit mir allein! Wie oft habe ich den stillen Wunsch gehabt, ihr den Mund zunähen zu können. »Morgen mittag tanzen wir an.«
Eine ausgesprochen fröhliche Stimmung kam auf. Dr. Schwengler beobachtete Fehrenwaldt, wie er aß. Wie er kaute. Wie sein Gebiß aussah, wenn er den Mund öffnete, um die volle Gabel einzuschieben oder zu trinken. Das kann nicht das Gebiß sein, das sich in das Papier abgedrückt hat, dachte er. Die Zähne stehen anders und sind kleiner. Aber morgen früh um 10 Uhr weiß man es genau: Ich werde ihn auf ein Kontaktpapier beißen lassen, dann haben wir den einwandfreien Abdruck. Dann ist Fehrenwaldt über alle Zweifel erhaben.
Man verabschiedete sich nach dem Essen wie alte Freunde. Während Konsul Fehrenwaldt und Frau hinausgingen, kehrte Schwengler an seinen alten Tisch zurück. Dort saß seine ›liebe Gattin‹ Selma und sah ihn böse an. Erst als er saß sagte sie nach einer Weile unheilvollen Schweigens:
»Was hast du mit Frau Konsul, dieser eingebildeten Pute, zu tun?«
»Nichts.«
»Nun leugne doch nicht, was ich selbst gesehen habe! Ist das deine berufliche Aufgabe?«
»Es gehört dazu.« Dr. Schwengler beugte sich vor, um nicht so laut sprechen zu müssen. »Im übrigen sind dein Reden und dein Benehmen zum Kotzen.«
»Danke!« Sie erhob sich abrupt. »Gehst du
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