Der Klabautermann
konnte den Kollegen ein stummes Bravo zurufen.
Seinem angestrengten Denken, wie man mit Fehrenwaldt in Kontakt kommen könnte, wurde er enthoben durch eine Frage des Konsuls an seine Frau: »Liebes, magst du lieber einen Sancerre oder einen Chablis zum Fisch?«
Die Frage war so laut, daß Dr. Schwengler sie notgedrungen hören mußte und er ohne Unhöflichkeit aufblicken konnte. Frau Fehrenwaldt schien etwas ratlos.
»Ich weiß nicht …«, antwortete sie. »Er darf nicht zuviel Säure haben …«
In diesem Augenblick hielt es Schwengler für angepaßt, sich in das Gespräch einzumischen. »Verzeihen Sie«, sagte er sehr höflich und distanziert. »Wenn ich Ihnen raten darf, gnädige Frau: Für am besten halte ich da den Montrachet. Würzig, trocken und mit einer angenehmen Säure, die den Magen nicht belastet.«
»O danke!« Frau Fehrenwaldt sah Dr. Schwengler dankbar an. »Einen Montrachet, meinen Sie?«
»Ja, ich trinke ihn hier am liebsten. Ich bin auch säureempfindlich. Ich bekomme sofort eine Pyrosis.«
»Ich nehme an, das heißt Sodbrennen«, sagte Konsul Fehrenwaldt. »Sie sind Weinkenner …«
»Schwengler, mein Name.«
»Fehrenwaldt.«
Der Kontakt war geschaffen. Ihn auszubauen, war jetzt ziemlich einfach.
»Weinkenner?« Dr. Schwengler hob die Schultern. »Das wäre etwas zu hoch gegriffen. Ich bin ein Liebhaber guten Weins, nennen wir es so. Und als Arzt …«
»Ah! Sie sind Arzt?« Frau Fehrenwaldt unterbrach Schwengler sofort. Wie die meisten Frauen pflegte sie eine lapidare Krankheit, um immer und überall von ihr reden zu können. Ein nie versiegender Gesprächsstoff zum Beispiel bei den vierzehntägig stattfindenden ›Damennachmittagen‹ in Fehrenwaldts Villa; es prallten da sechzehn verschiedene Krankheiten aufeinander, das ergab eine unerschöpfliche Fülle von Schilderungen und Ratschlägen. »Internist?«
»Nein, gnädige Frau. Zahnarzt und Kieferchirurg. Ich besitze eine Privatklinik in Wuppertal.«
»Hochinteressant!« Konsul Fehrenwaldt bestellte bei dem Weinsteward eine Flasche Montrachet und wandte sich dann wieder Dr. Schwengler zu: »Wie war doch noch Ihr Name?«
»Schwengler …«
»Ach ja. Dr. Schwengler.« Fehrenwaldt begann, sich für den fremden Menschen zu interessieren. »Ich habe immer eine große Hochachtung vor der Medizin gehabt, vor allem gegenüber einem Chirurgen. Kieferchirurg. Ich habe links unten einen halben neuen Kiefer.«
»Das sieht nur ein Fachmann. Es ist fabelhaft gemacht, Herr Fehrenwaldt. Darf ich fragen, wo?«
»In Rio de Janeiro … Sie staunen? In Deutschland wollte da keiner so recht ran. Ich merkte, wie sie Angst hatten. Und es gibt nichts Schlimmeres als einen ängstlichen Chirurgen! In Rio aber gab es einen Arzt, der machte solche Plastiken mit einer solchen Kaltschnäuzigkeit, daß man als Patient Angst haben mußte. Das war vor 37 Jahren … ich habe nie bereut, es bei ihm gemacht zu haben.«
»Dr. Delhano?« fragte Schwengler. Der Name war in Fachkreisen bekannt und berüchtigt. Vor Jahren hatte man ihm vorgeworfen, an Menschen zu experimentieren, mit künstlichen Knochen, mit Unterspritzungen, mit Plastikimplantaten, und da ihm alles gelungen und kein Patient gestorben oder verstümmelt worden war, umgab ihn natürlich ein großer Haß der Kollegen. Das ist eine merkwürdige Charaktereigenschaft der Ärzte: Ein erfolgreicher Außenseiter muß mit allen Mitteln bekämpft werden.
»Sie kennen Dr. Delhano?« fragte Frau Fehrenwaldt sofort.
»Ich habe bei ihm vor dreißig Jahren ein halbes Jahr hospitiert«, log Schwengler elegant.
»Das ist ja ein Zufall!« Konsul Fehrenwaldt zeigte auf den freien Stuhl neben sich. Sie hatten zu zwei Personen einen Vierertisch. »Darf ich Sie einladen, heute an unseren Tisch zu kommen?«
»Ich möchte nicht stören«, sagte Schwengler mit einer fabelhaft gespielten Zurückhaltung.
»Aber ich bitte Sie! Wo wir beide Dr. Delhano kennen …«
Dr. Schwengler zog um, setzte sich an die Seite von Frau Fehrenwaldt und wußte, daß jede seiner Bewegungen von Selma aus der Ferne beobachtet wurde. Der zweite Schritt war getan … es mußten noch viele weitere kleine Schritte kommen, ehe er einen Blick in des Konsuls Mund werfen konnte. Aber schon jetzt, aus der Nähe, war er versucht zu sagen, daß der Gebißabdruck in Hallaus Manuskript nicht von Fehrenwaldt stammte. Die Kieferbildung und der Stand der Zähne war anders.
Um das Thema nicht versickern zu lassen, blieb Dr. Schwengler beim Medizinischen.
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