Der Klabautermann
schrieb. Aber gerade, weil sie sich über ihn so ärgerte, las sie alles, was sie von ihm bekommen konnte. Auch heute las sie einen Roman, der im mexikanischen Hochland spielte und in dem sogar ein Priester ›Scheiße!‹ rief. Das stieß sie ab, interessierte sie andererseits jedoch sehr.
Es war ein strahlender Sonnentag, warm schon um diese Zeit, so gegen zehn Uhr vormittags. Das Meer war wie eine tiefblaue Scheibe, fast unbewegt, sehr selten in dieser Gegend. Auf den Decks tummelten sich die Passagiere, spielten Shuffleboard, Tischtennis, schwammen im Pool, lagen in der Sonne oder tranken an der Bar Fruchtsäfte, Kaffee oder Cocktails. Auch Bier wurde gezapft … es waren immer die gleichen Herren, die sich gegen die Theke lehnten und den Frühschoppen nie ausließen.
Die Baronin blickte kurz auf ihre Armbanduhr, legte sie dann ab, erhob sich aus ihrem Liegestuhl, warf ihren Bademantel – Doppelfrottee mit südamerikanischen Indianermotiven – um die Schultern und ging langsam hinüber zum Pool. Zehn Uhr. Zwölf Runden schwimmen, das gehörte zum festen Tagesplan.
Mit kurzen, kräftigen Schritten erreichte sie das Schwimmbecken, warf den Mantel ab, stellte sich unter die Dusche und kletterte dann fast jugendlich in den Pool. Hier sah man, daß das Schiff doch schwankte: Die Wasseroberfläche schwappte hin und her. Genüßlich legte sich die Baronin auf den Rücken und ließ sich in dem Meerwasser wiegen.
Zwölf Runden, mehr nicht. Wer lange leben will, muß eine gewisse Präzision beachten. Nur die Unruhigen sterben früh.
Erfrischt stieg die Baronin aus dem Becken, nahm ihre schlichte weiße Bademütze ab, schüttelte ihr mittelblond gefärbtes Haar, genau so, wie es auch junge Mädchen tun, und ging zu ihrem Liegestuhl zurück.
Aber der Liegestuhl war nicht mehr da.
Nun ist so etwas keine große Tragödie, der Decksteward kann sofort einen neuen holen, aber auf allen Fahrten hatte Thekla von Sahlfelden noch nie erlebt, daß man ihr den Liegestuhl weggenommen hatte, zusammen mit den Handtüchern, der Uhr und dem Buch. Hinzu kam noch die Sonnenbrille und eine kleine Plastikbadetasche.
Konsterniert über soviel Flegelei blickte sich die Baronin um. Sie brauchte nicht zu suchen: Ihr Liegestuhl stand, zusammengeklappt, in einer Ecke auf Deck; dort, wo eine Tür – Eintritt nur für Mannschaft – in die Hinterräume der Bar führte. Eine Ecke, die von Deck aus kaum einsichtbar war. Ganz offensichtlich hatte jemand den Liegestuhl korrekt weggeräumt.
Die Baronin sah sich nach allen Seiten fragend um, ging dann zur Ecke, holte den Liegestuhl wieder nach vorn, klappte ihn auf, fand Handtücher, Uhr, Sonnenbrille, Badetasche und den Roman von Konsalik wieder, schleifte alles auf ihren vorherigen Platz zurück und legte sich hinein.
Da muß doch ein Idiot am Werk gewesen sein, dachte sie. Er sieht doch, daß der Stuhl nicht frei ist. Sie musterte Jean, den Decksteward, der gerade Kaffee und Bouillon herumreichte und mit einem großen Tablett durch die Liegereihen balancierte. Nein, der war es nicht, dachte sie. Während ich schwamm, habe ich ihn gesehen. Er war immer unterwegs und trug Getränke herum. Wer also hat sich an meinem Liegestuhl vergriffen?
Es war ein Problem, gegen das der Roman von Konsalik verblaßte.
Die Baronin richtete sich auf, legte das Buch auf die Planken, beobachtete die Ausgabe von Kaffee am Büfett auf dem Sonnendeck und entschloß sich, ebenfalls eine Tasse zu holen. Sie stellte sich in die Reihe, nahm vom Tisch Tasse und Untertasse samt Löffel, ließ sich von Steward Willy die Tasse füllen und kehrte zu ihrem Liegeplatz zurück.
Der Liegestuhl war wieder weg!
Wütend stellte die Baronin die Tasse Kaffee auf den Boden und entdeckte nach einem Rundblick ihren Liegestuhl hinter einer großen, weiß lackierten Eisenkiste, in der die bordeigenen Frotteetücher aufbewahrt wurden.
»Eine Frechheit!« sagte sie laut, obwohl niemand da war, den sie ansprechen konnte. »Eine bodenlose Frechheit!«
Sie holte den Liegestuhl hinter der Kiste hervor, schleifte ihn erneut zu ihrem angestammten Platz, aber sie war so wütend, daß sie dieses Mal mit dem Aufklappen nicht zurechtkam. Immer wieder verhedderte sie sich, der Liegestuhl fiel in sich zusammen. Wer schon einmal mit solch einem Möbel gekämpft hat, weiß, wie infam Liegestühle sein können. Und je ungeduldiger man wird, um so weniger steht solch ein Stuhl.
Die Baronin schrak denn auch aus ihrem Zorn auf, als hinter ihr der
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