Der Klabautermann
worden.
»Man hat Sie niedergeschlagen«, sagte er zu Hallinsky gewandt. »Schütteln Sie nicht den Kopf, das ganze Schiff weiß es. Wie sah der Kerl aus?«
»Das geht Sie nun wirklich nichts an …« Hallinsky spielte den Arroganten.
»Sie hätten recht, wenn ich nicht auch ein Betroffener wäre.«
»Aha! Man hat Sie ebenfalls niedergeschlagen? Wegen einer Apfelsine?«
»Wieso Apfelsine?«
»An Bord soll ein blinder Passagier sein, und ich wollte eine von ihm gestohlene Apfelsine aufheben, da hat er mir eine gedonnert. Zufrieden?«
»Nein. Meine Frau …« Arno Falkenhausen geriet ins Stocken; es kostete ihn noch immer Überwindung, davon zu reden. Jeder Ehemann wird das verstehen. »Man hat gestern nacht versucht, meine Frau zu … vergewaltigen …«
»Hier?« fragte die Baronin und erstarrte.
»Nein, auf dem Promenadendeck. Und nun möchte ich wissen, ob der Lump, der Sie niedergeschlagen hat, auch das Schwein ist, das meine Frau angriff.«
»Wie soll ich das beurteilen?« fragte Hallinsky und zeigte nun doch Interesse.
»Wie sah der Mann aus?«
»Das war nur ein Bruchteil einer Sekunde, in der ich ihn sah. Große stechende Augen …«
»Sagt meine Frau auch.«
»Bräunliches Gesicht … aber da war ich schon besinnungslos. Mehr kann ich nicht beschreiben.«
»Er war es! Er war es! Gebräuntes Gesicht … genauso hat meine Frau ihn beschrieben! Hat er bei Ihnen auch gelacht? Fürchterlich gelacht? Höhnisch, herzzerreißend …?«
»Möglich, aber ich war ja weg und konnte nichts mehr hören. Hat Ihre Frau so wie ich eine Beule am Kopf?«
»Nein. Leider nicht. Mir wäre lieber, sie hätte eine Beule bekommen statt des Schocks. Sie liegt unter Beruhigungsspritzen.« Falkenhausen wischte sich über das schwitzende Gesicht. »Ist es nicht beschämend, daß man diesen Burschen nicht entdeckt?«
»Ein Schiff ist wie eine kleine Stadt. Dort wie hier gibt es Hunderte von Verstecken.« Die Baronin beugte sich über den Tisch etwas vor. In ihren Augen lag ein Flimmern. »Ihre Frau ist vergewaltigt worden? Richtig vergewaltigt?«
»Nein … man hat es versucht …«
»Ach so … nur versucht …«
»Bitte, sprechen Sie nicht darüber! Im Interesse aller Passagiere habe ich dem Kapitän mein Wort gegeben, nichts davon zu erzählen. Nur zu Ihnen mußte ich kommen, Herr Hallinsky – übrigens, mein Name ist Falkenhausen –, weil Sie ein ähnliches Schicksal erlitten haben …«
»Ohne Notzüchtigung!« sagte Hallinsky mit Galgenhumor. »Das hätte mir noch gefehlt …«
»Herr Hallinsky!« tadelte die Baronin streng und heuchelte Abneigung.
»Pardon, Baronin.« Hallinsky grinste unverschämt. »Man sagt manchmal so etwas daher.« Er wandte sich wieder Arno Falkenhausen zu und musterte ihn. Sah nach Geld aus, der Mann. Das war keiner von denen, die jahrelang gespart hatten, um sich einmal im Leben eine Luxusschiffsreise zu gönnen, als Krönung allen Schaffens. »Sie reisen viel, Herr Falkenhausen?« fragte er scheinbar harmlos.
»Ab und zu. Diese Schiffsreise sollte etwas ganz Besonderes werden: unsere Silberhochzeitsreise.«
»Gratuliere! Das habe ich noch vor mir, in zwei Jahren … fünfundzwanzig Jahre Stellungskrieg mit immerwährendem Trommelfeuer des Gegners. Wir sind schon harte Burschen, was, Herr Falkenhausen?«
Er lachte kräftig, Falkenhausen lächelte etwas verzerrt, die Baronin spielte die Empörte. Hallinsky war wieder in seinem Element: Er redete ungehemmt. Und redete mit genauer Richtung auf ein Thema zu.
»Wir sollten in unserem Alter etwas kürzer treten«, fuhr er fort. »Dieser Arbeitsstreß. Geht es Ihnen nicht auch so?«
»Man steht in ständigem Kampf. Wenn Sie wüßten, mit welchen Sorgen die deutsche Schuhindustrie sich herumschlagen muß! Gegen die erdrückende italienische Konkurrenz. Das sind so unsere Sorgen.«
»Sie haben eine Schuhfabrik?« Hallinsky spürte schon wieder so etwas wie eine elektrische Spannung. Ein Schuhfabrikant … gesegnet sei dieser Tag!
»Ja, in Pirmasens. Donatella-Schuh.«
»Bekannt. Bekannt. Herrliche Modelle … Ich will hier keine billigen Komplimente machen, aber die Donatella-Schuhe sind wirklich die besten in Deutschland.«
Arno Falkenhausen schwieg und lächelte nur freundlicher. Welcher Fabrikant hört so ein Lob nicht gern? Er begann, Hallinsky sympathisch zu finden und sein Benehmen als eine Art von Originalität zu werten. Jeder Mensch ist eben anders, das macht ihn so interessant.
»Da steckt viel Arbeit drin«, sagte er
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