Der Klabautermann
von Arno küssen, ließ sich Schatz nennen und wartete ab, bis er auf der Bettkante saß. Sie lächelte sibyllenhaft, und ihre ersten Worte waren auch ganz danach, als seien sie ein Orakel wie aus der sibyllinischen Quellgrotte in Erythräa.
»Du hattest einen schönen Abend?« sagte sie. Die Frage klang mehr nach einer Feststellung. »Du siehst so munter aus.«
»Dabei habe ich kaum geschlafen.«
»Das habe ich angenommen.« Ihr Lächeln erstarrte. »Wo warst du?«
»Hier.«
»Und später?«
»Was heißt später?«
»Als ich nach der Spritze eingeschlafen bin. Da hattest du ja freie Fahrt.«
»Ich habe hier bei dir am Bett gesessen und auf unsere Silberhochzeitsnacht eine Flasche Champagner getrunken.«
»Hier? Bei mir?«
»Habe ich eine andere Silberhochzeitsbraut?«
»O Arno!« Sie tastete nach ihm und küßte ihn, als er sich über sie beugte. »Ich benehme mich von Jahr zu Jahr dümmer, nicht wahr?«
»Das sollte jetzt kein Thema mehr sein, mein Schatz. Der Doktor sagt, morgen früh kannst du aus dem Hospital entlassen werden. Am Abend sind wir in Singapur. Da gehen wir ins ›Mandarin‹ zum Essen und holen den Hochzeitstag nach. Genehmigt?«
»Genehmigt, du Scheusal.« Sie lachte und schmiegte sich an ihn. »Und dort bleiben wir bis zum Morgen. Silberhochzeit im ›Mandarin‹ von Singapur – davon habe ich immer geträumt.«
»Vielleicht werden noch ganz andere Träume wahr«, sagte Falkenhorst geheimnisvoll. »Inselträume. Palmenstrand. Ein Bungalow am Meer, im Paradies …«
»Das klingt ja wie ein Südseemärchen.«
»Ein Bahama-Märchen, mein Schatz.« Falkenhausen fühlte sich wie ein großer Junge, dem ein geheimer Wunsch erfüllt worden war. »Du bist fünfundvierzig Jahre alt, ich bin fünfzig. Wir haben beide ohne Blick auf die Uhr gearbeitet. Mit den gewerkschaftlichen 30 Stunden pro Woche wären wir längst pleite. Wir haben fünfzig, sechzig Stunden gearbeitet und etwas dabei geschaffen. Unsere Donatella-Fabrik! Jetzt, meine ich, sollten wir ein wenig vom Leben nachholen und im Alter die Frucht unserer Arbeit genießen.« Er beugte sich über sie und küßte ihre Augen. »Was hältst du von einem weißen Bungalow am Meer? Auf den Bahamas?«
»Das … das ist doch nicht dein Ernst, Arno …«
»Unter Palmen im warmen Wind liegen. Im immer warmen Meer schwimmen. Weit weg von unseren Politikern und den großen Problemen, für die sich keiner auf der anderen Seite der Welt interessiert. So weit weg von dem Kleinklein deutscher Politik. Keine EWG, kein Atommüll, keine linken Chaoten, keine Streiks, keine wirklichkeitsblinden Gewerkschaftsbosse, keine Raketenstationen, keine Kernenergie-Fabriken, keine Atomangst … nur Sonne, Wind und Meer!«
»Und so weit weg …«
»Das ist es ja gerade. So weit weg von all' dem Rummel … Wir sind jetzt im Mittelalter unseres Lebens, das Alter kommt rasend schnell. Das Wort ›Silberhochzeit‹ sollte ein Signal sein.«
»Und wie kommst du plötzlich gerade zu den Bahamas?«
»Herr Hallinsky, der wie du von dem Lumpen überfallen worden ist, am gleichen Tag, will seinen Besitz auf den Bahamas verkaufen und sich auf eine Hochseeyacht zurückziehen. Ein Spleen, das sagt er selbst … aber er will verkaufen.«
»Und was soll das alles kosten?«
»Darüber müssen wir noch sprechen. Morgen früh darfst du wieder an Deck, und dann werden wir mit Herrn Hallinsky verhandeln.«
»Ist das nicht ein bißchen schnell?« fragte sie unsicher.
»Solche Objekte liegen nicht auf der Straße herum, Schatz. Die gehen unter der Hand weg wie heimlich gehandelte Diamanten. Wer da zögert, ist hintendran. Das müssen wir auf dem Schiff schon festmachen.«
»Du willst doch nicht etwa das Haus kaufen, ohne es vorher zu sehen!«
»Natürlich nicht. Aber ich werde versuchen, eine Option herauszuhandeln.«
»Eine Option ist schon ein halber Vertrag …«
Falkenhausen hob die Schultern. Erna hatte recht, aber was Hallinsky da erzählt hatte, wirkte in ihm wie süßes Gift. »Das ist alles eine Verhandlungssache«, sagte er und streichelte ihr Gesicht. »Deshalb bin ich ja so froh, daß du morgen wieder auf den Beinen bist. Ich weiß ja, im Verhandeln bist du knallhart.«
»Und es war immer nötig und erfolgreich.«
»Du bist eben ein Schatz …«
Das Mittagessen ließen sie sich hinunter ins Hospital bringen und aßen zusammen mit Dr. Schmitz und Schwester Emmi. Dr. Schmitz erzählte dabei kölsche Witze, die so kühn waren, daß sogar Schwester Emmi rot
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