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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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konnte nur hoffen, dass er genug gespart hatte.
    Ganga Ba deutete auf den kleinen Empfangsraum rechts vom Wohnzimmer. Ein Raunen erhob sich, als Kalu und der Vaid den Raum verließen. Vernehmlich und energisch bahnte sich der bis jetzt angehaltene Atem des Publikums seinen Weg. Die Damen kreischten wie Papageien, und die Herren zogen ihre Taschentücher, um sich die Stirn zu trocknen. Begeistert über die Reaktion auf ihr Wunder rief Ganga Ba lautstark nach Tee für die Gäste. Ha! Den Dummköpfen, die gesagt hatten, Kalu gehöre in eine Leprakolonie, hatte sie es gezeigt!
    Niemand erfuhr, welche Absprache der Vaid mit Kalu traf. Hätte jemand gelauscht, hätte er den Klang der Plastikflöte gehört, zuerst eine steigende Tonleiter, dann eine fallende, dann ein Satz. Wenige Minuten später verließ der Vaid ohne Abschied durch die Küchentür das Haus. Nur Brahmanji, dem Koch, sagte er, er würde bald wiederkommen. Kalu, mit bleichem Gesicht, seine Plastikflöte in der Hand, schlüpfte mit ihm hinaus. Malti dachte, um den Vaid hinauszubegleiten, aber der Junge kam nicht zurück.
    *
    Malti kauerte im Hof und bearbeitete im Schatten des Frangipani die Töpfe und Pfannen mit Scheuersand. Für alles Empfindlichere benutzte sie ein winziges, brüchiges Stück aus Seifenresten, die Ganga Ba für zu klein befunden hatte.
    Aus Gewohnheit kratzte sie zuvor die Reste aus den Töpfen und bewahrte sie in einer zerbrochenen, sauberen Plastikschüssel für Kalu auf. Als ihr einfiel, dass er ja schon vier lange Wochen fort war, schüttelte sie den Kopf.
    Sie hatte sich so sehr an Kalu gewöhnt, dass seine Abwesenheit auf sie wirkte wie ein Juckreiz. Eine Weile konnte man ihn ignorieren, doch sooft man glaubte, er sei verschwunden, fing er er
neut an zu jucken. Kalu hätte es ziemlich witzig gefunden, als Juckreiz zu gelten.
    Malti schürzte die Lippen, während sie mechanisch weiterarbeitete. Der Seifenschaum sammelte sich in Blasen und Rinnsalen auf ihren Händen und zeichnete neue Linien auf ihre Handflächen.
    Unten am Fluss hatte Malti gehört, der Vaid werde bald zurückkehren, und sie hoffte, Kalu würde bei ihm sein. Ganga Ba nahm es dem Jungen übel, dass er so mir nichts, dir nichts ohne Abschied aufgebrochen war. Zuerst hatte sie Kalu der Treulosigkeit beschuldigt, später den Vaid angeklagt. Sie erging sich in Vorwürfen, als ihre Freundinnen sich beim Tee nach ihm erkundigten, behauptete aber, es sei ihr ohnehin ganz egal, denn ihre Rolle in dem Stück sei längst beendet. Doch Malti wusste es besser.
    Auch wenn Malti und Ganga Ba kaum über Kalus Abwesenheit sprachen, lag der Gedanke an ihn ständig in der Luft. Sobald das Tor sich öffnete oder der Wind den Fetzen eines Liedes zu ihnen hinübertrug, hielt Malti in ihrer Bewegung inne, und Ganga Ba drehte leicht den Kopf. Es hätte ja sein können …
    Vielleicht kommt er heute, dachte Malti, wie jeden Tag, seit Kalu durch die Küchentür hinausgegangen war.
    Sie trug das saubere Geschirr in die Küche.
    *
    Er ging den dunklen Pfad entlang, stolperte durch die Finsternis. Der Wind trug ihm den Gesang der Tempelpriester zu.
     
    Mano buddhya-hankara chitani naham
    Ich bin weder Verstand, Ego noch Bewusstsein
     
    Die Worte trieben ihn dem mächtigen Fluss zu, wiederholten sich in seinem Kopf, obwohl die priesterlichen Gesänge ihn nur noch als Fetzen erreichten.
    Der Fluss schlug gegen die steilen Klippen. Donner steigerte den Lärm, den die Steine verursachten, die sich aus den Felsen lösten und mit Gepolter die Klippen hinunter ins Wasser stürzten.
     
    Na cha shrotra jihve, na cha ghrana netre
    Noch bin ich das, was mit Laut, Gesicht und Geruch verbunden ist.
     
    Heute Nacht wollte er sich in diesem Wasser reinigen, ebenso wie die Flussgöttin Ganga es tat, wenn sie zu schmutzig wurde. Es hieß, sie käme in Gestalt einer schwarzen Kuh an die Narmada, um sich in ihren heiligen Wassern zu baden. Vielleicht würde die Narmada den Geruch von Rauch und Schmutz fortwaschen, der seine Haut bedeckte. Er hatte seine Familie enttäuscht und seine Götter.
     
    Na cha vyoma bhumina tejo na vayuhu.
    Ich bin weder Himmel, Erde, Licht noch Wind.
     
    Ihm war nicht bewusst gewesen, dass Alkohol so verführerisch duften konnte. Er hatte nur ein Glas nehmen wollen. Warum nicht, auch Shiva hat das Gift der Welt in sich aufgenommen. Doch mit fortschreitendem Abend erkannte er, dass aus dem einen, zwei und dann drei geworden waren. Und seine anfangs so guten Karten waren jetzt

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