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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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wohlklingend, wenn er nicht bettelte. »Früher habe ich gearbeitet, aber jetzt will mich keiner mehr.« 
    »Und deine Eltern?«
    »Ich habe keine.«
    »Hast du denn keine anderen Verwandten, mein Junge? Bist du ganz allein?«
    »Ich bin eines Tages irgendwo unter einem Baum aufgewacht. Dann bin ich bis hierher gewandert. Seitdem bin ich in Hastinapore.« Kalu erwähnte weder das schwindlige Gefühl, das er an dem Tag gehabt hatte, noch die Träume, die ihn seither verfolgten. »Aber allein bin ich nie.« Kalu lachte.
    Das spontane Lachen des Jungen ließ ihn so kindlich aussehen, wie es seinem Alter entsprach. Er zählte an den Fingern ab, wer »alle« waren. »Meine Freunde von da, wo ich schlafe, und Malti, die bei Ganga Ba arbeitet. Und Ganga Ba. Sie hat mir meinen Namen gegeben – Kalu. Und Bal, der Junge, der die Büffel hütet und noch mehr stinkt als ich – obwohl er keinen schlimmen Fuß hat. Und viele andere.«
    »Kalu? Kalu, der Schwarze, wie Krishna – und du spielst sogar Flöte wie er.«
    Kalu ließ sich neben dem Vaid nieder und vergaß dabei völlig, dass sein Fuß die meisten Menschen in die Flucht geschlagen hätte. Er mochte den Mann. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihn schon jemals jemand Beta – Sohn – genannt hatte.
    »Ich spiele doch nur auf Blättern. Das kann man ja nicht Flöte nennen. Und jetzt kann ich wegen meinem Fuß nicht mal arbeiten.«
    Der Vaid lächelte. Er erkannte eine gewisse Mischung aus Anpassungsfähigkeit, Kraft und Fröhlichkeit in den Augen des Jungen. Dies waren die Eigenschaften von Bambus. Er kannte diesen Ausdruck, er hatte ihn viele Jahre zuvor bei seinem Bruder gesehen.
    »Mach dir keine Gedanken, denn die Bezahlung, die ich verlange, hat nichts mit Geld zu tun.« Der Vaid zog seinen Koffer über die Erde auf eine freie Stelle unter dem Baum, so dass ein Dreieck entstand: er, Kalu und der Koffer. »Lass mich mal schauen, wie weit die Entzündung fortgeschritten ist. Her mit dem Fuß.«
    Als Kalu ihm den Fuß entgegenstreckte, schrie plötzlich eine empörte Stimme: »He da! Junge, verschwinde! Was fällt dir ein, den Meister zu belästigen? Mach, dass du wegkommst, Dreckspatz!«
    Kalu stolperte über den Koffer, als er versuchte, sich hinter dem Vaid zu verstecken. Er stöhnte auf, als er mit der Ferse an eine aufragende Wurzel stieß.
    »Beruhigen Sie sich, Bhai. Der Junge ist mein Patient. Ebenso wie Ihre Gattin«, sagte der Vaid.
    Kalu duckte sich hinter ihn und machte sich bereit, die Flucht zu ergreifen. Der erboste Mann trug polierte, zu eng wirkende Schnürschuhe und Socken, die weiß sein sollten, aber die grau-braune Farbe einer Mischung aus Schuhcreme und dem staubigen Boden angenommen hatten.
    »Aber Meister, unser Baby kommt. Wie können Sie Ihre kostbare Zeit an so einen Tagedieb verschwenden!«, sagte der Mann, ohne Kalu eines Blickes zu würdigen.
    »Zeit wird erst kostbar, wenn man sie weise nutzt. Kalu braucht meine Hilfe dringender als viele andere. Ich behandele ihn ebenso wie jeden, der meine Hilfe benötigt.«
    Kalus Schultern entspannten sich bei diesen Worten. Dem Jungen war durchaus bewusst, dass viele ein besseres Leben führten als er, dennoch war ihm nie der Gedanke gekommen, nicht tun zu dürfen, was ihm gefiel. Für einen Tagedieb hatte er sich auch nie gehalten. Nicht in dem Sinne, wie der wütende Mann es tat. Kalu lebte zwar nicht in einem festen Haus, aber er war ein guter Läufer und konnte arbeiten. Zumindest, bis er sich die Wunde zugezogen hatte. Vielleicht konnte der Vaid ihn ja wirklich heilen. Selbst dieser wütende Mann schien große Achtung vor ihm zu haben.
    »Bitte, Meister, meine Frau. Das Baby. Wir brauchen Sie.« Der Vaid wandte sich um und schloss seinen Koffer. Der Mann schien sich etwas zu beruhigen.
    »Beta«, sagte er im Aufstehen zu Kalu, »Babys können leider nicht so lange warten wie kleine Jungen. Komm heute Abend gleich nach Sonnenuntergang zu Ganga Bas Haus. Dort fragst du nach mir. Ich sage ihr vorher Bescheid. Vergiss es nicht. Ich brauche sowieso noch ein paar bestimmte Kräuter für deinen Fuß. Hier.« Er drückte dem Jungen einen Zehn-Rupien-Schein in die Hand.
    »Aber ich –«
    »Nein, mein Sohn, das ist für dein Spiel. Es hat mir sehr gefallen. Recht muss Recht bleiben. Gib mir dein Wort, dass du kommst.«
    »Ich komme bestimmt.«
    »Ich verlasse mich auf dich.« Der Vaid lächelte, ehe er mit dem Mann davonging. Kalu sah ihnen nach. Der Vaid schritt langsam und bedächtig aus, während

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