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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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froh, dass ihr das fragt. Ihr seid alle drei ein Geschenk der Glückseligkeit. Bruder Wunder hat euch gebracht.«
    Jonahs Gesicht zuckte misstrauisch. »Wer soll das sein?«
    »Wer das sein soll? Wieso seid ihr so neugierig? Habt ihr das von mir oder von eurem Vater? Bruder Wunder heißt Glück-selig-keit. Selig ist sein mittlerer Name.«
    »Und Wunders Bruder? Hat der auch einen Namen?«
    »Schmuel«, antwortete mein Vater, a tempo, von der Tür her.
    »Schmuel? Wunder?«
    »Sicher. Warum denn nicht? Die heißen ja nicht umsonst Wunder.«
    »Jetzt aber ehrlich, Pa. Woher kommen wir?«
    »Eure Mutter und ich haben euch in der Tiefkühltruhe vom A & P gefunden. Wer weiß, wie lange ihr da gelegen habt. Dieser Mr. Wunder behauptete, ihr gehörtet ihm, aber er konnte keine Quittung vorweisen.«
    »Bitte, Pa. Die Wahrheit.«
    Wahrheit war ein Wort, mit dem unser Vater niemals Scherze trieb. »Ihr kommt aus dem Bauch eurer Mutter.«
    Darauf konnten wir zwei nur hilflos lachen. Unsere Mutter warf die Arme in die Luft. Ich sehe es noch vor mir, wie sich ihre Muskeln spannten, selbst heute noch, wo ich doppelt so alt bin wie sie damals. Mit erhobenen Armen sagte sie: »Jetzt haben wir den Salat.«
    Vater setzte sich. »Früher oder später muss es sein.«
    Aber von Salat war dann nicht mehr die Rede. Jonah hatte das Interesse verloren. Sein Lachen klang angestrengt, dann starrte er vor sich hin und schnitt Grimassen. Er glaubte ihnen — was immer es Verrücktes war, was sie ihm erzählen wollten. Er legte Mama die Hand auf den Arm. »Ist ja egal. Ich will gar nicht wissen, wo wir herkommen. Solange wir nur alle von derselben Stelle kommen.«
     
    Alle waren begeistert von meinem Bruder, als er in seiner ersten Musikschule vorsang. Genau wie ich es vorausgesagt hatte, ganz gleich, was mein Vater von Prophezeiungen halten mochte. Die Schule – unter denen, die aufs Konservatorium vorbereiteten, eine der zwei angesehensten der Stadt – lag in Midtown, an der East Side. Ich weiß noch, dass Jonah, als er schon in dem viel zu großen burgunderroten Blazer steckte, Mama fragte: »Wieso willst du denn nicht mit?«
    »Ach, Jo! Natürlich würde ich gern mitkommen. Aber wer soll denn hier bleiben und auf die kleine Ruth aufpassen?«
    »Die kann doch auch mitkommen«, protestierte Jonah, obwohl er damals schon wusste, wohin wir gehen konnten und wohin nicht.
    Mama antwortete nicht. Sie umarmte uns im Flur. »Bye-bye, Jojo.« Der Name, bei dem sie uns beide zusammen rief. »Blamiert mich nicht.«
    Wir drei Männer bestiegen das erste Taxi, das für uns hielt, und ließen uns zur Schule fahren. Dort angekommen, verschwand mein Bruder im Gewimmel der anderen Kinder, kam aber im Saal noch einmal zu uns, kurz bevor er singen sollte. »Joey, du würdest mir nicht glauben, wie es da zugeht.« Sein Gesicht war ehrlich entsetzt. »Da sind ein paar Jungs, die sehen aus, als hätte Ming von Mongo sie höchstpersönlich durch die Mangel gedreht.« Er versuchte zu lachen. »Da ist so ein Dicker, mindes-tens achte Klasse, der kotzt sich am Waschbecken die Seele aus.« Sein Blick wanderte über den Orbit des neu entdeckten Pluto hinaus. Kein Mensch hatte ihm je gesagt, dass Musik etwas war, das einem den Magen umdrehen konnte.
    Nach zwanzig Takten »Down by the Salley Gardens« a cappella hatte mein Bruder die Preisrichter in der Tasche. Später, in dem muffig grünen Gang, kamen zwei von ihnen zu meinem Vater herüber, um mit ihm zu besprechen, wie es weiterging. Während die Erwachsenen sich über die Einzelheiten verständigten, zog Jonah mich hinter die Bühne. Man konnte noch riechen, wo der größere Junge sich übergeben hatte, es roch aus dem Becken, süß und stechend, halb Küche, halb Klo.
    Das offizielle Urteil kam vierzehn Tage später. Unsere Eltern gaben den langen mit Maschine beschrifteten Umschlag an Jonah, der ihn aufgeregt öffnete. Doch als mein Bruder schon nach den ersten beiden Sätzen aufgab, nahm Pa den Brief. »›Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir Ihrem Sohn trotz seiner beeindruckenden Stimme im kommenden Herbst keinen Platz anbieten können. Der Kurs ist bereits überbelegt, und die Arbeitsbelastung des Lehrkörpers macht es unmöglich ...‹«
    Pa stieß einen kleinen unglücklichen Laut aus und sah Mama an. Ich hatte schon öfter gesehen, wie sie sich diesen Blick zuwarfen, draußen, wenn wir unter anderen Leuten waren. Mit zehn hatte ich damals schon begriffen, was dieser Blick bedeutete,

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