Der Klang des Herzens
versuchte, ihr Schweigen zu deuten.
»Thierry würde sich natürlich freuen, dich zu sehen.«
Byron ließ sich auf einen umgestürzten Baumstamm sinken, der vor der Mauer aus Schiefersteinen lag, die an der Küstenstraße entlanglief. Die Luft kam salzig vom Meer her. Auf einmal brannte sie in seinen Augen.
»Kannst du zu Kittys Party kommen?«
»Ich hab viel zu tun, aber ich werde es versuchen.«
Das Freizeichen ertönte.
Byron nahm seine Axt und schleuderte sie mit einem zornigen Grunzen aufs Feld hinaus.
Isabel legte den Hörer auf. Die Kinder waren vom Einkaufen zurück und hatten unten in der Küche Wimpelketten gebastelt. Jetzt liefen sie damit in den Garten hinaus. Sie lachten, als Pepper sich ein Ende schnappte und damit auf die golden untergehende Sonne zulief.
Die Kinder waren wieder glücklich. Glücklicher sogar als
in London, unbeschwerter, wie ihr schien. Für die Kinder war aus einer leichtsinnigen, unverantwortlichen Entscheidung eine gute Entscheidung geworden. Aber sie, Isabel, konnte nicht länger neben Matt und Laura wohnen, jetzt, da sie wusste, dass jeder Blick, den sie auf das Haus warfen, voller Neid und Missgunst war, dass der Anblick Isabels und ihrer Kinder die beiden jedes Mal an das erinnerte, was ihnen durch die Lappen gegangen war.
Und die Spuren, die Matt überall im Haus hinterlassen hatte, waren alles umfassend, alles durchdringend. Die paar Ecken und Winkel, die die Delanceys für sich beansprucht hatten, fühlten sich jetzt auch nicht mehr heimisch an.
Es muss ja gar nicht so schlimm werden, versuchte sie sich einzureden. Wir könnten hierbleiben und uns im Ort ein Haus suchen; dann könnten Kitty und Thierry auf ihrer Schule bleiben. Sie hatte nichts gegen ein kleineres Haus, ein Cottage im Dorf. Keine Schulden mehr. Wieder Essen kaufen können, ohne in der Erde danach buddeln zu müssen. Manchmal hätte sie am liebsten gelacht, wenn sie den Leuten ihre Adresse verriet und merkte, wie diese sofort mit Respekt, ja Ehrfurcht reagierten. Ja, das Große Haus war wohl ein Statussymbol. Aber ob sie ebenso nett wären, wenn sie wüssten, dass ich mir die Kräuter für den Tee meiner Kinder aus dem Garten holen muss? Wenn sie wüssten, dass meine Tochter Eier verkauft, damit ich die Stromrechnung bezahlen kann? In einem neuen, kleineren Haus wäre der Anbau des eigenen Gemüses nur noch ein Hobby, keine Notwendigkeit mehr. Sie würde nie wieder eine Fasergipsplatte sehen müssen.
Isabel sah zu, wie Thierry auf einen Baum kletterte, um die Wimpelkette dort aufzuhängen. Ihm würde es schwerfallen, von hier wegzugehen; ihn hatte es nie gestört, kein richtiges Bad zu haben, aber die Freiheit der Wälder und Byrons Freundschaft würden ihm bitter fehlen.
Vielleicht würde Byron sie ja besuchen, obwohl sie sich da
nicht sicher war. Er klang so anders, jetzt, da er nicht mehr auf ihre Hilfe angewiesen war, selbstbewusster, distanzierter, als habe er sich innerlich bereits von ihnen gelöst. Bitte tu meinem Sohn nicht weh, bat sie ihn im Stillen, ohne in Betracht zu ziehen, dass sie damit eigentlich sich selbst meinte.
Sie wandte sich um und blickte auf das Loch in der Wand des großen Schlafzimmers, das hässliche, gähnende Loch. Dieses Stück Nichts erschreckte sie mehr als alles andere, was im Haus passiert war. Die Symbolik war erdrückend, die Aussicht auf eine Zukunft, in der sich ein Loch auftat, ohne Halt, ohne Geld, ohne Sicherheit.
»Ach, verdammt, es ist doch bloß ein Haus – ein beschissenes Haus«, sagte Isabel laut ins Zimmer hinein. Ihre Stimme hallte im Raum mit den weiten, leeren, polierten Holzböden. Es wurde Zeit, sich zusammenzureißen. Das war nicht ihr Haus. Und wenn sie ehrlich war, war es das auch nie gewesen.
Sie zerrte eine Fasergipsplatte ins Zimmer und lehnte sie vor das Loch. Dann holte sie von unten einen elektrischen Schraubendreher und befestigte die Platte an der Wand. Schließlich hängte sie eine gerahmte Zeichnung auf, die José Carreras zeigte, bei einem Auftritt auf einem spanischen Musikfestival. Auf der Badezimmerseite befestigte sie ein weißes Laken über dem Loch und drapierte es ein wenig, sodass es den Eindruck machte, etwas Hübsches würde sich dahinter verbergen.
Sie würde den Bauunternehmer anrufen und ihn um sein bestes Angebot bitten. Dann würde sie bei den hiesigen Immobilienmaklern eine zweite und dritte Meinung einholen. Sie würden sich ein normales Haus suchen, und ihre Zeit im Spanischen Haus würde nur mehr als
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