Der Klang des Herzens
seine Entscheidung.
»Isabel!«, rief er. Und als sie nicht reagierte, noch einmal: »Isabel!«
Sie blieb stehen.
»Hör zu … Ich hab mich geirrt.«
Sie legte fragend den Kopf zur Seite.
»Und du hast recht.«
Er ging auf sie zu, trat vorsichtig über lose Ziegel, immer darauf bedacht, nicht am Absperrband hängen zu bleiben.
Dann stand er vor ihr. Sie sahen sich an. Er wartete kurz, bevor er weitersprach, denn er wusste, was sie jetzt sagte, würde über alles entscheiden.
»Sag mir die Wahrheit: Meinst du wirklich, was du sagst? Es ist dir egal, wer was und wie viel besitzt?«
Isabel starrte ihn an. Du kapierst es nicht, was?, dachte sie. Ich bin hier die Realistin. Ich habe lernen müssen, was wirklich wichtig ist und was nicht, bitter lernen müssen. Ich würde dich selbst dann an meiner Seite haben wollen, wenn du den Rest deines Lebens keinen Penny mehr besitzen würdest.
Sein schönes Gesicht wirkte auf einmal verletzlich. Sie musste daran denken, wie er unter den Trümmern ihren Namen gerufen hatte. Sie hatte ein ausgezeichnetes Gehör. Sie konnte selbst kleinste Nuancen heraushören. Und sie hatte die Wahrheit gehört, selbst wenn er das nicht wahrhaben wollte. Isabel , hatte er gesagt, und die Erleichterung in seiner Stimme hatte nichts mit seiner Lage zu tun gehabt.
Er hob die Hand, zuckte dabei vor Schmerzen zusammen. Sie schaute sie an, dann zu ihm auf.
»Und?«, fragte er.
»Es ist doch bloß ein Haus , Byron.«
Sein Arm war noch immer ausgestreckt. Zögernd legte sie ihre schmale Hand in seine breite, starke. Stoß mich bitte nicht wieder zurück, bat sie ihn im Stillen, und auch ihre Augen, ihr Gesicht, ihre Hand flehten ihn an. Wenn ich es riskieren kann, dann du doch auch.
»Es – ist – nur – ein – Haus .«
Sein Blick bohrte sich in den ihren, ernst, dunkel, und ihr wurde schwindlig vor Angst.
Dann: »Weißt du was?« Auf seinen wettergegerbten Zügen machte sich ein Grinsen breit. »Das finde ich auch.«
Und mit diesen Worten zog er sie an sich. Ein winziges Zögern, dann küsste er sie, vorsichtig zunächst, dann mit wachsender Leidenschaft. Endlich durfte sie den Duft seiner Haut einatmen, seine starken Arme fühlen. Er küsste sie noch einmal, und es war der Kuss eines Mannes, dem die Welt gehört. Ihren Mund an dem seinen, schlang Isabel lachend die Arme um seinen Hals. Und so standen sie neben den Trümmern des Spanischen Hauses, eng umschlungen, ohne auf die Zeit zu achten oder auf die Sonne, die langsam hinter den Wipfeln der Bäume versank. Die Notenblätter entglitten ihrer Hand und wurden vom Wind in alle Richtungen geweht.
Die Sonne war bereits hinter den Bäumen verschwunden, als sie endlich zu Isabels Auto gingen. Er würde erst morgen zurückfahren. Heute Nacht würde er bei den Delanceys bleiben, in ihrer kleinen Wohnung über dem Tante-Emma-Laden. Er würde auf dem Sofa schlafen. Oder unten. Er wusste, dass es, wie in der Natur, für alles einen Ort und eine Zeit gab.
Erst auf dem Weg zum Auto fiel es ihm wieder ein. Er nahm den Arm von Isabels Schultern und hob einen großen Stein auf. Dann holte er zwei zerknitterte Blätter aus der Tasche und wickelte den Stein darin ein. Nach einem kurzen Zögern holte er aus und schleuderte den Stein mitten in den See.
»Was war das denn?«, fragte Isabel perplex.
Er sah zu, wie die kleinen Wellen ringförmig auseinanderliefen und verflachten.
»Nichts«, sagte er und klopfte sich die staubigen Hände ab. »Absolut nichts.«
EPILOG
M att McCarthy ist nie wieder in die Bartons zurückgekehrt. Er und seine Frau leben jetzt in einem Haus in der Nähe ihrer Eltern. Wir erfuhren davon, als Anthony ein paar Tage nach dem Einsturz im Laden vorbeikam und erzählte, dass sie wegziehen würden. Vor dem Haus tauchte ein Verkaufsschild auf, und es wechselte innerhalb von einer Woche den Besitzer. Wundert mich nicht. Mit diesem Haus war ja immer alles in Ordnung.
Anthony macht jetzt einen College-Lehrgang, irgendwas mit Automechanik. Ich sehe ihn nicht mehr allzu oft. Er war zuerst richtig sauer auf seine Eltern, aber ein bisschen später hat er gesagt, dass sein Vater so was wie einen Nervenzusammenbruch gehabt hat und dass seine Mum meint, man kann Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie Menschen sind.
Eine junge Familie aus Suffolk wohnt jetzt in dem Haus. Sie haben zwei kleine Kinder, deren Spielsachen Thierry gelegentlich im Wald findet. Er bringt sie dann am liebsten ganz in der Früh zurück, legt sie
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