Der Klang des Herzens
irgendjemandem am Telefon, und sie und Thierry waren mit Byron hinausgegangen und folgten ihm nun durch den Garten und um den See herum. Isabel versuchte, sich alles genau zu merken, was er ihr erklärte, über ihr Grundstück und dessen Möglichkeiten. Auf einmal kam es ihr gar nicht mehr vor wie ein nimmersatter, seelenzerstörender Geldschlund, sondern mehr wie ein Füllhorn, aus dem sie sich bedienen konnten.
»Am einfachsten ist es, zunächst mal mit Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln anzufangen. Dabei kann man nichts falsch machen, und die Erde ist gut dafür. Vielleicht auch noch Bohnen.
Und in dieser Ecke hier könnt ihr Rhabarber anbauen – der ging dort früher ab wie eine Rakete.«
Thierry verzog das Gesicht.
»Im Streuselkuchen würde er dir sicher schmecken«, sagte er und gab ihm einen kameradschaftlichen Stups.
Ich muss einen backen, nahm sich Isabel vor. Aber sie hatte Mary nie nach dem Rezept gefragt.
»Draußen bei den Ställen steht das alte Gewächshaus. Dort könnten Sie unter Glas mit der Aussaat anfangen; die Pflänzchen sind da geschützt vorm Frost. Es ist die billigste Art, damit anzufangen. Obwohl es heuer vielleicht schon ein bisschen spät dafür ist. Wenn wir hier Ordnung machen«, er zog an dem Unkraut, das vor der roten Backsteinmauer wucherte, »finden wir vielleicht sogar noch ein paar Himbeersträucher … Ah, da sind sie ja. Die schneiden Sie etwa so weit zurück«, er deutete die Höhe mit den Daumen an, »dann sollten Sie einen guten Ertrag kriegen. Und diese anderen Sträucher können Sie lassen. Sind alles Brombeeren.«
Zunehmend munterer und selbstbewusster schritt er umher. Hier, wo er in seinem Element war, legte er seine Wachsamkeit, seine Zurückhaltung ab und lächelte sogar dann und wann. Seine Stimme war sanft und leise, als wolle er den Frieden der Natur nicht stören.
»Hier wachsen alle Sorten von Äpfeln. Die werden im Herbst erntereif sein. Sie sollten sich eine Gefriertruhe kaufen, damit Sie das, was Sie nicht sofort verbrauchen, aufheben können. Damit kommen Sie auch durch den Winter. Kochen Sie so viele wie möglich ein. Den Rest wickeln Sie in Zeitungspapier«, er tat, als poliere er einen Apfel, »und lagern sie in einem der Außengebäude. Irgendwo, wo’s kühl ist und wo die Mäuse nicht rankönnen«, fügte er hinzu.
»Und dort haben Sie Victoria-Pflaumen, Birnen, Holzäpfel, Damaszenerpflaumen …« Er wies mit einer ausholenden Armbewegung auf die Obstbäume. Isabel konnte sie nicht
auseinanderhalten. »Hier Reineclauden, dort an dem Busch Stachelbeeren. Daraus könnt ihr Marmelade oder Chutneys machen. Pass auf die Dornen auf, wenn du sie pflückst, Thierry. Ihr könnt sogar was davon verkaufen, wenn ihr wollt. Viele Bauern verkaufen einen Teil ihrer Ernte am Straßenrand.«
»Wer würde ausgerechnet hierherkommen, um Marmelade zu kaufen?«, fragte Isabel.
»Wenn sie gut genug ist, könnten Sie die Vettern fragen, ob sie sie für euch verkaufen. Als Bioprodukt. Hier ist, so weit ich weiß, seit Jahrzehnten nicht mehr gespritzt worden.« Er hielt inne. »Das Einzige, was Ihnen Probleme bereiten wird, sind Salat und Möhren.«
»Wegen der Kaninchen«, riet Isabel.
»Genau. Aber wir könnten ein Stück einzäunen, damit sie nicht rankommen. Sie könnten jeden Abend Kaninchenragout essen, wenn Sie wollten.«
»Sie meinen, wir sollen sie umbringen ?«
»Ist in dieser Gegend, als würde man auf Fische in einem Regenfass schießen.«
Es schauderte sie bei dieser Wortwahl.
»Ein Kaninchen zu häuten ist gar nicht so schwer. Thierry hat’s schon mal gemacht.«
Verblüfft schaute sie Byron an. Der machte plötzlich wieder ein unbehagliches Gesicht. »Ich hab auf ihn aufgepasst. Wegen des Messers.« Aber das war es gar nicht, was Isabel erstaunte; es war der Ausdruck auf Thierrys Gesicht, dieser scheue Stolz, mit dem er zu Byron aufblickte, als dieser ihn lobte.
»Er ist ziemlich gut, Ihr Sohn. Stimmt’s, T? Hat eine natürliche Begabung dafür.«
»Hast du das gern gemacht, Thierry?« Sie hoffte nach diesem Blick auf Byron, dass er vielleicht etwas sagen würde, aber er nickte nur. Sie fing Byrons Blick auf und sah, dass er Ähnliches
gehofft hatte. Aber er redete weiter, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
»Und dann gibt’s noch Fasane und Rotwild. Eine Rehhälfte, und Sie kommen problemlos durch den Winter. Sie können das Fleisch in einem Außengebäude aufhängen. Ist sehr gut. Sehr mager.«
»Ich glaube nicht, dass ich so weit gehen
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