Der Klang des Herzens
›Tu dies, tu das‹, dauernd bist du am Meckern!«
»Wie kannst du so was sagen!?«
»Ist doch wahr. Und es geht mir auf den Keks.«
»Mir scheint, dir geht so ziemlich alles, was ich tue, auf den ›Keks‹, Matt.«
Das war schon das dritte Mal diese Woche. Sein Dad war schon seit zehn Tagen rastlos und schlecht gelaunt. Aus irgendeinem Grund hatte er seiner Frau nicht erzählt, dass die Arbeiten am Großen Haus vorerst ruhten. Anthony fragte sich, ob es daran lag, dass Kittys Mutter das Geld ausgegangen war. Kitty behauptete immer, ihre Mutter hätte keins. Vielleicht wollte sein Dad ja erst rausfinden, was er jetzt tun sollte, bevor er zu Hause darüber sprach.
Jedenfalls, irgendwas stimmte nicht. Wenn Matt normalerweise irgendwo zu tun hatte, nahm er Anthony nach der Schule mit, angeblich, um ihn auszubilden, damit er das Geschäft irgendwann würde übernehmen können. Jedenfalls sagte er das. Aber Anthony glaubte, dass er bloß eine billige Arbeitskraft brauchte. In letzter Zeit jedoch hatte er nichts mehr gesagt und ihn auch nicht mehr mitgenommen. Byron arbeitete irgendwo draußen im Gelände. Den hatte er also auch nicht dabei. Anthony wusste nicht mal, wo sein Vater zurzeit zu tun hatte – in Theresas Cottage wahrscheinlich. Nicht, dass man
das arbeiten nennen konnte. Aber das störte Anthony nicht wirklich – eigentlich war es ihm sogar ganz recht, denn es bedeutete, dass er nach der Schule zu Kitty rübergehen und bei ihr rumhängen konnte. Besser, als sich den Scheiß hier antun zu müssen. Er holte sein Handy aus der Tasche. »Glaubst du, ich könnte meine Eltern in ein Heim einweisen?«, schrieb er in einer SMS an Kitty.
»Ich will mich nicht mit dir streiten, Matt …«
»Das überrascht mich. Du suchst doch ständig Streit mit mir.«
»Das ist unfair. Ich will doch nur nicht mit … mit einem Vakuum verheiratet sein. Denn genauso fühlt es sich an. Selbst wenn du da bist, bist du nicht richtig bei uns.«
Anthonys Handy piepte. Er schaute aufs Display. »Frag mich nicht. Meine hat angefangen, mit einem Gewehr rumzufuchteln. K XX.«
»Du machst mich wahnsinnig. Ich geh jetzt.«
»Matt, bitte …«
»Ich hab keine Zeit für diesen Mist.«
»Aber für sie hast du schon Zeit.«
Eine längere Stille trat ein. Anthony klappte sein Handy zu und setzte sich auf. Er spitzte die Ohren, als lausche er dem Zischen einer Zündschnur.
»Was soll das heißen?«
»Ich bin doch nicht blöd, Matt!«, stieß seine Mutter nun mit hoher, weinerlicher Stimme hervor. »Ich weiß, was los ist. Aber das mache ich nicht noch mal mit.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte sein Vater mit kalter, abweisender Stimme.
»Wer ist es diesmal, Matt? Irgendeine Verkäuferin? Eine Kellnerin? Eine dankbare Kundin? Vielleicht ja sogar die Frau drüben im Großen Haus, ja? Genug Zeit verbringst du ja dort.«
Sein Vater explodierte. »Wer hat gesagt, ich soll rübergehen?
Wer wollte, dass ich den Kasten instand setze? Wer hat mir in den letzten neun Jahren Tag und Nacht in den Ohren gelegen? Das Haus, das Haus! Also beklag dich nicht, wenn ich tue, was du willst!«
»Hör auf, mir die Worte im Mund herumzudrehen! Du willst das Haus doch mindestens genauso wie ich!«
»Ich hör mir das nicht länger an«, fauchte sein Vater. »Ich geh zur Arbeit.«
Anthony schob sich hastig die Ohrhörer ins Ohr. Die Bürotür sprang auf, und sein Vater stürmte heraus. »Ich komme heim, wenn ich heimkomme, okay? Anthony, du solltest in der Schule sein und nicht hier rumhocken und kiebitzen wie so ein altes Weib.«
»Hör auf, mir was vorzumachen, Matt, ich bin schließlich nicht blöd.« Seine Mutter weinte offen. »Ich werde nicht danebenstehen und zuschauen, wie du dich durchs halbe Dorf bumst. Matt! Matt?«
Der Lieferwagen seines Vaters stob in einer aufspritzenden Kieswolke davon. Seine Mutter kam ins Wohnzimmer, und Anthony nahm die Ohrhörer wieder raus. Als sie ihn sah, zuckte sie erschrocken zusammen, wischte sich über die Augen und versuchte sich zusammenzureißen. »Was machst du denn noch hier, Schatz? Ich dachte, du wärst in der Schule.«
»Freistunde. Muss erst um zehn da sein.«
Er beschäftigte sich mit seinem Handy, um ihr Zeit zu geben, ihre Haare in Ordnung zu bringen. Ihre Frisur war immer makellos, und wenn sie so zerzaust war wie jetzt, wirkte sie seltsam verletzlich.
»Wollte nur noch sehen, ob’s dir gut geht.«
Sie hatte rotgeränderte Augen und rote Flecken im Gesicht. »Mir geht’s gut,
Weitere Kostenlose Bücher