Der Klang des Herzens
Früh hierher zum Schwimmen«, sagte er. Seine Kleidung lag neben einem Lorbeerbusch. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
»Nein … nein, natürlich nicht. Sie haben ganz schön Mut. Das Wasser muss ja eiskalt sein.«
»Ach, man gewöhnt sich dran«, sagte er.
Eine Stille entstand. Die Hunde rasten mit heraushängender Zunge vorbei. Byron schmunzelte. »Äh … Isabel … ich würde gerne aus dem Wasser rausgehen …«
Isabel war sofort klar, was er meinte. Mit hochroten Wangen drehte sie ihm den Rücken zu. Was glaubte er, wie lange sie schon da stand? Noch dazu im Morgenmantel. Sie überlegte, wie das wohl auf andere wirken musste. Ob Matt ihm von ihrer Nacht neulich erzählt hatte? Sie war auf einmal wie am Boden zerstört. Ihren Morgenmantel am Ausschnitt zusammenhaltend, sagte sie: »Hören Sie, wir reden ein andermal. Ich muss wieder ins Haus.«
»Isabel, Sie müssen nicht …«
»Doch. Doch, wirklich, ich …«
In diesem Moment sah sie ihren Sohn zwischen den Bäumen hervorkommen. Er hielt die Zipfel seines Pullis hoch, als würde er darin etwas aufbewahren. Pilze, wie sie jetzt erkannte. »Thierry?«, fragte sie perplex. »Ich dachte, du wärst noch im Bett.«
»Er kommt jeden Samstag mit mir raus«, sagte Byron hinter ihr. »Ich dachte, das wüssten Sie.«
Sie hatte keine Ahnung gehabt. Mary hätte es sicher gewusst. Sie hätte es gewusst, wenn Thierry in aller Herrgottsfrühe im Wald herumstreifte. Isabel war kalt. Ihr seidener Morgenmantel bot nicht viel Schutz vor der klammen Kälte.
»Tut mir leid«, sagte Byron, der noch immer bis zur Hüfte
im Wasser stand. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihn zurückgeschickt.«
»Nein, das macht nichts. Wenn es ihm Freude macht …«, sagte sie leise. Thierry trat zu ihr und zeigte ihr seine Fundstücke, von denen ein erdiger, würziger Duft aufstieg.
»Die sind in Ordnung«, erklärte Byron, »bloß Pfifferlinge. Die sammle ich schon seit Jahren. Sie wachsen zwar auf Matts Land, aber er hat nichts dagegen.«
Beim Klang dieses Namens ließ Isabel ihr Haar noch weiter ins Gesicht fallen. Sie beugte sich vor und begutachtete Thierrys Beute. Dabei kehrte sie Byron den Rücken zu, damit er sich anziehen konnte. Sie hörte ihn platschend aus dem Wasser steigen. Ihn in solcher Nähe zu wissen und noch dazu unbekleidet, machte sie schrecklich verlegen. Sie sagte etwas Belangloses zu Thierry, der seine Fundstücke fachmännisch untersuchte.
»Ich wollte Sie eigentlich um einen Gefallen bitten«, sagte sie zu Byron, dem sie nach wie vor den Rücken zukehrte.
Er wartete.
»Ich möchte unser Land nutzen – davon leben, so weit es geht. Sie sagten, Sie könnten Thierry beibringen, wie man Gemüse anbaut – vielleicht könnten Sie ja auch mir zeigen, was ich alles tun kann. Ich weiß, Sie arbeiten für Matt und sind wahrscheinlich ziemlich beschäftigt, aber ich wäre Ihnen dankbar für jeden Ratschlag … Ich habe sonst niemanden, den ich fragen könnte.«
Sie versuchte seine Reaktion einzuschätzen und plapperte dann weiter: »Ich will keine Kühe oder Schweine halten, natürlich nicht, und auch kein Feld beackern oder so. Aber es muss doch was geben, was wir tun können, um uns von unserem Land zu ernähren.«
»Dann werden Sie sich aber Ihre Hände schmutzig machen müssen.«
Sie drehte sich um und sah ihn in Jeans und T-Shirt vor sich
stehen. Auf seiner Haut glitzerten Wassertropfen. Sie warf einen Blick auf ihre Hände, die sie dreißig Jahre lang vor den Unbilden des Lebens geschützt hatte. Schon jetzt klebte Erde daran, von den Pilzen. »Ach, die werden sich schon dran gewöhnen.«
Byron rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken. Sein Blick schweifte über das Haus und den Garten. »Tja, hier wäre schon mal Ihr Frühstück.« Er deutete auf die Pfifferlinge. »Die können Sie bis in den Herbst hinein sammeln. Tatsächlich können Sie sich und Ihre Familie monatelang über Wasser halten, wenn Sie das wirklich wollen.«
Sie wartete.
Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. Wenn er lächelte, war er ein ganz anderer Mensch. »Ähm«, sagte er und deutete auf ihren Morgenmantel. »In dem da werden Sie aber nicht weit kommen.«
»Ach!«, rief sie aus und lachte. »Warten Sie! Lassen Sie mir fünf Minuten Zeit! Bloß fünf Minuten.«
Nahrung gab es überall, wenn man nur willens war, sie zu sehen, wie Isabel im Laufe des Vormittags, den sie mit Byron verbrachte, feststellte. Kitty war im Haus geblieben und schwatzte mit
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