Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
i. B .
Die Frauen fuhren in ihrer Arbeit fort und der Raum füllte sich mit dem ungleichmäßigen Klappern der Schreibmaschinen.
Der Firma Welte ging es finanziell ausgesprochen gut. Sie hatte eine weltweit führende Marktposition inne, was mechanische Musikinstrumente betraf, und der junge Instrumentenbauer war stolz, in diesem Werk arbeiten zu dürfen. Allerdings fragte er sich in diesem Augenblick, weshalb Edwin Welte ihn zu sich bestellt hatte. War etwas Gravierendes vorgefallen? War eines der von ihm entworfenen und angefertigten Klaviere nicht in Ordnung gewesen?
Voll innerer Unruhe hob er den Kopf und begegnete dem Blick von Frau Meisner. Diese lächelte ihn freundlich an und zog in einer knappen Bewegung die Schultern in die Höhe, um ihm zu signalisieren, dass sie ebenfalls nicht wusste, weshalb er herbeordert worden war. Richard lächelte zaghaft zurück und strich sich dabei mit beiden Händen sein Hemd glatt.
In diesem Moment wurde die Tür schwungvoll geöffnet und Herr Welte betrat den Vorraum. „Ah, Sie sind schon hier. Pünktlich wie ein Schwarzwälder Uhrwerk, nicht wahr?“ Er bedeutete Richard mit einer knappen Handbewegung, ihm zu folgen.
Kurz darauf saß Richard auf einem Stuhl vor dem gewaltigen, aus dunklem Eichenholz gezimmerten Schreibtisch seines Vorgesetzten. Ganz im Gegensatz dazu, wie souverän er sich sonst seinen Angestellten gegenüber gab, wirkte Herr Welte heute beunruhigend unentschlossen.
Richard richtete sich ein wenig mehr auf. Er war kein junger, unerfahrener Instrumentenbauer mehr. Mit Fleiß und Ausdauer hatte er sich hochgearbeitet, und mit seinen mittlerweile 27 Jahren wusste er inzwischen sehr genau, was er wollte. Einen Teil seiner hochgesteckten Pläne hatte er bereits erreicht, nachdem er von Edwin Welte und seinem Schwager, Karl Bokisch, eingestellt worden war.
„Herr Martin, Sie sind ein überaus begabter und gut ausgebildeter Instrumentenbauer“, begann Welte. „Das ist allerdings nicht der Grund, weshalb ich Sie heute zu mir gebeten habe.“ Er verstummte und schob unruhig einen Bleistift auf der Tischplatte hin und her. „Mir wurde gesagt, Sie beherrschen die englische Sprache?“
Richard stutzte. Hatte Welte etwa vor, ihn nach New York zu schicken? In der dortigen Niederlassung ging ein jahrelang geführter Patentrechtsstreit allmählich dem Ende entgegen, und Richard hatte von Plänen gehört, die Tochtergesellschaft in den Staaten in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Er wog blitzschnell die Möglichkeiten ab, die sich ihm dadurch bieten würden. Wo würde er eines seiner Ziele – nämlich, in die gehobene Gesellschaft aufgenommen zu werden – leichter erreichen können, im heimatlichen Deutschland oder in den Vereinigten Staaten?
Mit gerunzelter Stirn betrachtete er seinen Gesprächspartner, nur um festzustellen, dass dieser immer nervöser wurde. Musste er sich auf eine unangenehme Nachricht gefasst machen? Richard hatte in seinem Leben bereits einige Tiefschläge erlebt. Allerdings hatte er in den letzten beiden Jahren zu hoffen begonnen, dass es in seiner beruflichen Karriere und damit automatisch auch in seinem Leben nun endlich bergauf ging. Zerschlug diese Hoffnung sich heute, hier, in diesem überfüllten, aber dennoch ordentlich wirkenden Kontor Weltes?
Seine Unruhe nahm zu und breitete sich mit einem unangenehmen Kribbeln in seinem Inneren aus, das sich anfühlte, als habe er Tausende von Ameisen aufgeschreckt.
„Es ist so: Die Tochter einer Großtante von mir ist in jungen Jahren nach Hamburg gezogen. Sie hatte damals eine enttäuschende Liebesgeschichte hinter sich …“ Der Mann unterbrach sich selbst und machte eine abweisende Handbewegung.
Richard rieb sich mit der rechten Hand über das Gesicht, um ein belustigtes Lächeln zu verbergen. An der Familiengeschichte der Weltes war er nur begrenzt interessiert, und er war sich sicher, dass es auch nicht im Sinne Edwin Weltes lag, diese vor ihm auszubreiten.
„Jedenfalls hat das Mädchen damals als Stewardess auf einem Schiff der HAPAG angeheuert. Sie hat ein paar Mal den Atlantik überquert und eines Tages einen Engländer geheiratet. Oder war er ein Ire? Wahrscheinlich Letzteres.“
Richard begann sich zu fragen, wann Welte wohl zum Grund seines Hierseins kommen würde, zumal die lange Vorrede seine düsteren Vorahnungen steigerte. War es nicht immer so gewesen, dass die Leute lange um den heißen Brei herumgeredet hatten, ehe sie mit ihren schlechten Nachrichten
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