Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
bitten, die Dame bei den anstehenden Veranstaltungen, Einladungen und Festen zu begleiten. Sicher wird sie auch bei den gesellschaftlichen Anlässen einen Dolmetscher brauchen. Für dieses Mehr an Arbeitszeit werden Sie selbstverständlich entsprechend entlohnt.“
Richard runzelte nachdenklich die Stirn. Welte lieferte seine Instrumente in Europas Königs- und Fürstenhäuser und sogar in den Sultanspalast von Sumatra. Die Begleitung dieser Stewardess konnte Richard vielleicht die Möglichkeit bieten, einmal in diese Kreise hineinzuschnuppern und eventuell sogar einige lohnenswerte Kontakte zu knüpfen. Er arbeitete gern in seinem Beruf, doch die Aussicht, ein paar Tage eine Verwandte der Weltes zu begleiten, erschien ihm nun gar nicht mehr so unerfreulich. Vermutlich würde sie nach der langen Reise ohnehin erst einmal einen Tag Erholung benötigen, und anschließend konnten sie einen oder zwei Ausflüge und eine Kutschfahrt durch Freiburg unternehmen. Damit die Dame sich nicht zu sehr verausgabte, war jeweils ein Ruhetag dazwischen angebracht. An diesen beschaulicheren Tagen konnten sie dann die gesellschaftlichen Termine wahrnehmen und …
Richard brachte seine Überlegung nicht zu Ende und erklärte sich bereit, während des Aufenthalts von Herrn Weltes Verwandter im Breisgau den Fremdenführer zu spielen.
Kapitel 2
Edwin Welte und seine Frau Betty standen nebeneinander auf den Stufen, die zur Tür ihres großen Hauses führten, und beobachteten die Ankunft der Kutsche. Richard, den ein Bote von der Ankunft der Dame aus Irland informiert hatte, trat hinzu und begrüßte das Ehepaar formvollendet. Betty Welte lächelte ihm, erfreut über seinen Charme, freundlich zu. Der Kutscher öffnete die Tür und half einer Dame im hochgeschlossenen braunen Reisekostüm heraus.
Richard musterte die schlanke Frau, deren Gesicht im ersten Moment unter dem wagenradgroßen Hut kaum zu sehen war. Mit ihren roten Locken und den unzähligen Sommersprossen sah sie genau so aus, wie er sich eine Irin vorstellte. Allerdings war sie weitaus älter, als er angenommen hatte. Mit Sicherheit hatte sie die 40 bereits seit ein paar Jahren überschritten. Leicht gebeugt, um sich nicht den kecken Hut vom Kopf zu stoßen, tauchte hinter ihr nun ein junges Mädchen auf, das mit einem Satz aus der Kutsche auf die Auffahrt hinuntersprang und sich neugierig umsah.
Richard kniff missbilligend die Augen zusammen. Es war nie die Rede davon gewesen, dass er auch die Tochter der Verwandten von Welte betreuen sollte. Zwar war das Mädchen kein kleines Kind mehr, doch vermutlich gerade deshalb anspruchsvoll und vielleicht auch schwierig, wie junge Mädchen in dem Alter es nun einmal waren. Er kannte das von seinen beiden jüngeren Schwestern.
Das Ehepaar Welte stieg die Stufen hinunter und begrüßte die beiden Gäste. Währenddessen lud der Kutscher einen Koffer aus, der ihm von einem der Hausbediensteten abgenommen wurde. Zu seinem Erstaunen sah Richard, wie sich die reifere Dame von dem Mädchen verabschiedete und sich wieder in das Gefährt helfen ließ.
Sollte das etwa heißen, dieses Mädchen war diejenige, die er in den nächsten Tagen zu betreuen hatte? Was sollte er denn mit einem so jungen Hüpfer anfangen? Waren diese Jugendlichen nicht immerzu auf Unterhaltung und Abwechslung aus, möglichst in diesen neumodischen Clubs, in denen es laut und in Richards Augen reichlich unzivilisiert zuging? Womöglich war sie eine derjenigen, die sich mit Begeisterung jeder politischen Demonstration gegen den Kaiser und seine adelige Führungsschicht anschließen würden. Oder sie wollte Versammlungen besuchen, in denen es um das Frauenwahlrecht und erweiterte Arbeitsrechtsbestimmungen ging, was in diesen Tagen ja als ausgesprochen modern galt.
Richard hatte für so etwas keine Zeit und würde sich vermutlich dementsprechend unwohl fühlen, sollte dieses Mädchen ihn dorthin schleppen. Er spürte einen zunehmenden Widerwillen in sich aufsteigen und fragte sich, ob er diese Aufgabe nicht zugunsten eines anderen Mitarbeiters abgeben sollte. Allerdings pflegte er zu seinem Wort zu stehen, und es würde vermutlich negativ aufgenommen werden, sollte er sich jetzt doch noch sträuben, den übernommenen Auftrag auszuführen.
Herr Welte winkte ihn mit einer knappen Handbewegung zu sich und wandte sich an seine Nichte: „Norah, das ist Richard Martin. Er wird dir während deines Aufenthaltes in Freiburg als Begleiter und Dolmetscher zur Verfügung stehen.
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