Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
hinunter, und sie schmeckte ihn kaum. Aber das war eigentlich auch unwichtig. Der aufmunternde, trockene Nachgeschmack des Alkohols, als sie die Flasche absetzte, war genug, um ihr die Gewissheit zu geben, dass die Gelassenheit bald in ihren Körper ausstrahlen würde. Sie ließ sich an der Wand auf den kalten Steinboden gleiten. Dort blieb sie mit angezogenen Knien sitzen und lehnte die Stirn an die Flasche.
Raoul. Warum ausgerechnet Raoul? Von allen verdammten Geigern dieser Welt musste sie Raoul kommen lassen. Aber das konnte sie Louise nicht sagen. Jeder Kammermusiker hätte über die Ehre, mit ihm spielen zu dürfen, gejubelt. Sie selbst konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.
Zum letzten Mal hatten sie sich Ende August in New York gesehen, als sie dort für ihr Krankenhaus an einer Konferenz teilgenommen hatte. Genauer gesagt war die Konferenz ihr Vorwand gewesen, um nach New York zu fahren und ihn aufzusuchen. Sie hatte sich über ein halbes Jahr so wahnsinnig nach ihm gesehnt und musste ihn einfach treffen, um herauszufinden, wie es um die Beziehung stand, die sie seit fünfundzwanzig Jahren beherrschte und die sich in dieser Zeit in ein erniedrigendes Versteckspiel verwandelt hatte.
Anfangs war es aufregend gewesen, sich ein Abenteuer mit ihm zu gönnen, mit Raoul Liebeskind, dem Starviolinisten. Bei seinem Durchbruch mit achtzehn war er von der Zeitschrift Elle zu einem der zehn »sexiest« Musiker gewählt worden. Alle wussten, wer er war, aber niemand wusste, dass sie zu den Glücklichen gehörte, die mit ihm im Bett gewesen waren. Unter seinen Küssen zu zerfließen, seinen verschwitzten Körper an ihren zu drücken, die Ekstase auszuleben, kurz, intensiv und heimlich, um dann wieder ins wirkliche Leben zurückzukehren … Die Erregung und der Genuss, den sie bei ihren Begegnungen empfunden hatte, waren eindrücklicher gewesen als alles, was sie sonst erlebt hatte oder vermutlich in Zukunft je erleben würde, es übertraf alles. Sobald sie das Hotelzimmer verließ, begann der Hunger von Neuem.
Helena hatte ihn etwa zu dem Zeitpunkt kennengelernt, als sie als Bratschistin im Furioso Quartett angefangen hatte. Louise und Raoul waren damals schon eng befreundet gewesen, und er tauchte oft bei den Konzerten des Quartetts auf, wenn er sich in Schweden befand. Raoul hatte an der Juilliard School of Music studiert, genauso wie auch zwei Jahre lang Louise. Während dieser Zeit hatte er ihr die Wohnung überlassen, die ihm seine Familie in New York besorgt hatte. Auch Anna hatte dort zeitweilig gewohnt. Raoul und sie waren ein Jahr lang offiziell ein Paar gewesen, aber kurz nach der Verlobung getrennter Wege gegangen. Annas Rückkehr nach Schweden stand bereits fest, als Helena die beiden in New York besuchte. Eines Abends ergab es sich, dass Raoul und sie allein waren. Sie waren ausgegangen und hatten zu viel Wein getrunken. Anschließend kam es zu mehr oder weniger gelungenem Sex. Wieder in seinen Kleidern, machte Raoul deutlich, dass er an keiner neuen Beziehung interessiert sei, schließlich habe ihn Anna gerade verlassen. Helena war da noch derart überrumpelt von der Situation, dass sie gar nicht gewusst hatte, was sie empfand. Raouls Solistenkarriere war zu jener Zeit bereits im Aufschwung, und er hatte sich mit intensiver Zielstrebigkeit darauf konzentriert. Ein wenig unverfänglicher Sex zur Entspannung passte ihm damals ausgezeichnet in den Kram. So hatte ihre heimliche Affäre ihren Anfang genommen.
Fünf Jahre lang hatte Helena ihn überhaupt nicht getroffen, und mit der Zeit war es ihr fast geglückt, ihre Sehnsucht nach ihm zu vergessen. Sie hatte auf der Hochzeit ihrer Cousine Martin Andermyr kennengelernt. Er war einer der besten Freunde des Bräutigams und ihr Tischherr gewesen. Die Tischordnung hatte die erhoffte Wirkung. Die beiden hübschen Singles wurden ein Paar. Martin war ein richtiger Fang – groß, blonde Mähne, Seglertyp mit blendend weißem Lächeln. Seine etwas ungleichmäßigen Zähne hatten seine Attraktivität nur noch erhöht. Er sah in sonnengebleichten Baumwollshorts genauso gut aus wie in einem Anzug von Armani. Eine elegante, intellektuelle Frau war genau das, was er als CEO von Andermyr Investments brauchte. Ein halbes Jahr später verlobten sie sich auf Barbados unter Wasser in Taucherausrüstung. Die Hochzeit fand auf dem Schloss Yxtaholm statt, sie kauften eine Vierzimmerwohnung in Östermalm, und anschließend, als Helena Johanna erwartete, eine Jugendstilvilla
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