Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
waren jedoch die Schuldgefühle, die sie heimsuchten, wenn sie nach Hause kam. Das schlechte Gewissen füllte sie gänzlich aus. Wie lange noch würde sie es ertragen, Martins fröhliches Gesicht zu sehen, während er sich erkundigte, ob es ein interessanter Kongress gewesen sei, oder Johanna Gute Nacht zu sagen und ihren viel geherzten, abgenutzten Teddy vom Fußboden aufzuheben und neben ihr Kissen zu legen? Oder sich vorsichtig auf Davids Bettkante zu setzen und ihm über die dunklen Locken zu streichen, ihn auf die Wange zu küssen und eilig das Zimmer verlassen zu müssen, damit ihre Tränen nicht auf ihn tropften und ihn weckten.
Wäre es nur eine banale Affäre gewesen, dann hätte sie sich zusammennehmen und sie beenden können. Aber es ging um mehr. Vor etlichen Jahren war ihr ein ernsthafter Verdacht gekommen und dann immer stärker geworden. Vielleicht war es ja nur Einbildung, vielleicht würde es ihr Leben verändern mit Konsequenzen, die sie abzuschätzen suchte, jedenfalls lähmten sie Schuldgefühle, sobald sie nur daran dachte.
Dann buchte sie eine Reise nach New York, um Raoul ernsthaft mit der Wahrheit zu konfrontieren oder dem, was sie für die Wahrheit hielt. Sie wollte ihm von der Wunde erzählen, die nie aufhörte zu schmerzen, von den Gedanken, die sie immer zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und herpendeln ließen.
Als sie sich endlich wiedersahen, war Raoul erkältet. Ihr Treffen hatte er bereits zweimal aufgeschoben. Schließlich trafen sie sich in einem Café. Raoul leitete das Gespräch damit ein, dass er nur zwanzig Minuten Zeit habe, dann müsse er zur Probe. Er war mürrisch und einsilbig und begrüßte Helena unverbindlich höflich, so wie man einen Geschäftspartner begrüßt. Sie selbst hatte ihre Tagung an diesem Vormittag geschwänzt, um die richtigen Kleider zu wählen. Sie hatte anprobiert und verworfen und war dann verzweifelt zu Bloomingdale’s gerannt und hatte ein gewagtes Donna Karan-Kleid für elfhundert Dollar gekauft. Jetzt saß ihr Raoul in ausgebeulten Jeans und einem T-Shirt mit einem verwaschenen Aufdruck eines Musikfestivals gegenüber. Helena bemühte sich, unberührt zu wirken, und versuchte, ihre eingeübte Rede so spontan wie möglich klingen zu lassen.
»W ir müssen ernsthaft miteinander reden«, begann sie. »Es ist nicht ganz einfach, aber ich hoffe, dass wir eine Lösung finden können, die für uns beide praktikabel ist.«
Raouls Handy klingelte, und er zog es aus seiner Tasche und antwortete. Helena betrachtete stumm seine Miene, die sich vollkommen verändert hatte. Jetzt war er fröhlich, und seine Erkältung schien ihm überhaupt nichts mehr auszumachen. Er lachte und scherzte, und seine Augen glitzerten, während er zuhörte. Er sah sogar Helena an und lächelte ihr verschwörerisch zu, als hätte sie an seiner Unterhaltung teil.
Nach fünf Minuten beendete er das Gespräch.
»Entschuldige … « Aufgemuntert durch die Unterhaltung schenkte er ihr sein lebensgefährliches Lächeln und fuhr dann nach einer minimalen Kunstpause fort: »W as wolltest du mir erzählen?«
Helena schluckte und sprach zögernd weiter: »W ie soll ich nur anfangen? Ich glaube, dass ich dich im Laufe dieser Jahre trotz allem recht gut kennengelernt habe. Es gibt Dinge, die uns vereinen, aber es gibt auch Eigenheiten und Lebensentscheidungen, die uns immer wieder getrennt haben und die das sicher auch in Zukunft tun werden. Außerdem gibt es auch andere Beteiligte, deine Frau und Martin. Und meine Kinder. Wir können es nicht länger hinausschieben. Ich brauche Gewissheit.«
Sie schaute in ihre Kaffeetasse und spielte mit ihrem Löffel, weil sie nicht die Kraft hatte, ihm in die Augen zu sehen. Als sie wieder aufschaute, sah sie ihn eine SMS schreiben. Er murmelte zerstreut, um die Stille zu überbrücken, als er merkte, dass sie nicht weitersprach, dann schickte er die SMS ab. Erst dann sah er ihr in die Augen. Helena hatte nun vollkommen den Faden verloren und starrte ihn mit halb offenem Mund an. Dann stieß sie hervor: »W as machst du da? Schreibst du SMS , während ich über uns spreche?«
Raoul runzelte fragend die Stirn, als verstünde er nicht, was sie meinte.
»Über uns? Wie bitte?«
Helena spürte, wie die Röte ihren Hals überzog.
»Ja, natürlich über uns. Was glaubst denn du? Warum wäre ich sonst überhaupt hier?«
Sofort bereute sie es, sich so unbeholfen eine Blöße gegeben zu haben. Raoul wirkte peinlich berührt. Ihr Mut verließ sie.
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