Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
hervor.
»W issen Sie was«, begann sie schuldbewusst, »ich strampele mich schon den ganzen Vormittag ab, aber jetzt geht es einfach nicht mehr. Ich glaube, ich habe mir von den Kindern diese Magensache eingefangen. Die Kinder bringen aus der Schule ja immer alles Mögliche mit.«
Sie strich sich langsam eine goldene Locke hinter das Ohr und runzelte die Stirn. Ihr vorgesetzter Kollege lächelte ihr aufmunternd zu.
»Dann solltest du besser nach Hause gehen und dich hinlegen.« Er neigte den Kopf zur Seite, etwas müde, aber doch versöhnlich.
»V ielleicht wäre das wirklich das Klügste«, erwiderte Helena mit dem Anflug eines bekümmerten Lächelns. »Schließlich ist es nicht wünschenswert, dass der Arzt die Patienten auch noch ansteckt.«
Sobald sie die Tür geschlossen hatte, verschwand ihr Lächeln und sie ließ sich wieder auf ihren Bürostuhl sinken. Um ihre Gedanken zu ordnen, begann sie die Papiere vom Fußboden aufzusammeln und legte sie dann in ordentlichen Stapeln auf den Tisch. Sie hob die Büroklammern auf, stellte die Stifte wieder in den Becher, und so kehrte die gewohnte penible Ordnung auf ihrem Schreibtisch zurück. Dann loggte sie sich wieder ein. Es bereitete ihr Unbehagen, ein Arzneimittel zu verschreiben, über das sie nichts Näheres wusste. Ihrer Schwester. Antibiotika und Hustensaft hatte sie ihrer Familie ab und an verschrieben, aber das hier war etwas ganz anderes. Jetzt befand sie sich weit außerhalb ihrer Facharztkompetenz. Immer wieder redete sie sich ein, dass das schließlich und endlich Carolines Verantwortung war. Sie konnte nicht mehr tun, als ihr das Rezept auszustellen und zu hoffen, dass es zu keinen ernsthaften, gar lebensbedrohlichen Komplikationen kam. Gleichzeitig, und das wollte sie sich selbst kaum eingestehen, empfand sie eine gewisse Zufriedenheit darüber, dass die Zukunft in eine Richtung zu weisen schien, die sie sich selbst in ihrem Innersten wünschte. Ausnahmsweise einmal wurde Louise in ihre Schranken verwiesen.
Sie machte sich so unsichtbar wie möglich, als sie ihr Büro verließ und den Korridor entlangschlich. Im Schwesternzimmer stand Schwester Majken und sprach mit einigen Pflegehelferinnen, die Helena unfreundliche Blicke zuwarfen, als sie vorbeiging. Helena senkte den Kopf und eilte auf die Fahrstühle zu. Sollen sie doch reden, dachte sie. Sie hatte ihre eigenen Prioritäten. Am Montag würde sie sich krankschreiben lassen, obwohl sie eigentlich Dienst hatte. Die Zeit bis zur Aufnahme reichte eigentlich nicht, um richtig zu üben. Aber sie hatte zumindest vor, sie so gut wie möglich zu nutzen, um die schlimmsten Schwierigkeiten ihres Bratschenparts zu lösen und sich mental auf die Begegnung mit Raoul vorzubereiten.
Zu Hause angekommen, ging sie direkt in ihr Arbeitszimmer und suchte die Stenhammar-Noten heraus. Sie spannte ihren Bogen und klemmte die Bratsche unter das Kinn. Auf die Kinnstütze hatte sie ein Seidentuch gelegt. Die Narbe am Hals schmerzte jedes Mal, wenn sie das Instrument an die Schulter legte. In den Jahren nach dem Konservatorium hatte sie wie die richtigen Profis diese lederartige Narbe gehabt, aber mittlerweile übte sie nicht einmal mehr jeden Tag. Ihre Finger fühlten sich trocken und starr an. Ich werde alt, dachte sie. Obwohl sie wusste, dass es zur Einstimmung von Körper und Instrument besser war, sich langsam aufzuwärmen, hetzte sie die Übungen durch, um sich direkt den schweren Passagen des Quartetts zuzuwenden. Ihr exakter Pagenschnitt wippte im Takt der Bewegungen von Bogen und Fingern. Immer wieder quälte sie sich durch die raschen Läufe und abrupten Wechsel, aber mit jedem Mal klang es schlimmer. Sosehr sie sich auch in ihr Spiel vertiefen wollte, konnte sie es doch nicht lassen, sich selbst kritisch zu bewerten. Das musikalische Resultat kam ihr vor wie Hohn. Bald verkrampften sich ihre Finger, und ihre Schultern waren auf Kinnhöhe erstarrt. Mit einem Schwall von Flüchen bekämpfte sie ihre Enttäuschung. Als ließen sich die technischen Probleme jetzt lösen! Aber sie gab nicht klein bei, bestrich den Bogen erneut mit Kolophonium und versuchte sich an einer neuen Phrasierung, um Leben in die Musik zu bringen. Zwei Stunden hielt sie durch, wie falsch und abgehackt es in ihren Ohren auch klang. Dann klingelte das Telefon. Sie erkannte Louises Nummer und ließ es etliche Male klingeln, während sie sich darauf vorbereitete zu antworten.
»Helena. Jetzt habe ich entschieden, wie wir diese Situation
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