Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
festigen. Nicht zum ersten Mal bediente er sich dieser Strategie. Sie funktionierte immer. Es widerstrebte ihm allerdings, sie zu quälen, aber er wusste auch, dass er ihr und sich selbst bald den erlösenden Trost geben konnte. Es galt, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, nicht zu bald, nicht zu spät, um die richtige Wirkung zu erzielen. Es ging wie beim Kontrapunkt um das richtige Kalibrieren. Wenn er als Musiker etwas gelernt hatte, dann war es Geduld, Sturheit und Zielstrebigkeit. Bei der Verführung war es genauso. In beiden Künsten war er mittlerweile ein unschlagbarer Meister.
Caroline schloss die Augen, um sich abzuschirmen. Sie konnte sich nicht beherrschen, konnte sich nicht konzentrieren. Wenn sie ihre Unruhe nur irgendwie kanalisieren und den Aufruhr mit einem neuen Schmerz, der sie am Denken hinderte, dämpfen könnte. Sie sah sich um und entdeckte die Messer in einer Halterung rechts vom Herd. Welch eine Erleichterung wäre es, sich etwas den Unterarm aufzuritzen. Nur ein kleiner Stich mit einer Messerspitze in die Fingerkuppe würde reichen, aber das war unmöglich, denn dann würde sie nicht mehr Cello spielen können. Nein, die Messer musste sie stehen lassen. Sie wollte auch nicht, dass die anderen sahen, wie sie sich schnitt, sie würden glauben, sie sei verrückt. Stattdessen biss sie sich auf die Zunge. Verletzungen der Zunge verheilten schnell. Langsam drückte sie die rechten Backenzähne zusammen, bis sich der metallische Blutgeschmack im Mund ausbreitete. Da entspannte sie sich und ließ die Schultern sinken. Eine kurzfristige Ruhe bemächtigte sich ihrer, und die Gedanken konnten sich wieder in ihrem Kopf bewegen. Mit den Gedanken kehrte die Sehnsucht zurück. Würde sie es wagen, die Initiative zum nächsten Schritt zu ergreifen? Und wenn er ihr einen Korb gab? Sie war so unsicher, sie war es nicht gewohnt, in diesen Bahnen zu denken. Die Vorstellung, vielleicht nie mehr seinen Körper an ihrem zu spüren, erfüllte sie mit abgrundtiefer Verzweiflung. Da konnte sie genauso gut sterben. Sie zuckte bei dem Gedanken zusammen, und eine unerwartete Erleichterung überkam sie. Jetzt zu sterben, das war vielleicht in der Tat das Beste. Zu wissen, was man hatte erleben können, einzusehen, dass man so etwas nie mehr würde erleben dürfen, sich damit begnügen und sich dann gegen den Rest des Lebens entscheiden und den Tod willkommen heißen. Ohne Furcht und mit reiner Freude.
Mit starrer Hand rührte sie im Topf und betrachtete die Fettaugen auf der Oberfläche. Sie glänzten, wurden in die Länge gezogen und umschlossen dann wieder den Kochlöffel. Sie rührte ordentlich und sehr konzentriert.
»Komm, Caro«, hörte sie Louise vom Tisch. Caroline erwachte aus ihren Träumen, holte tief Luft, drehte sich dann um und ließ sich auf den Stuhl neben Louise fallen. Rechts von ihr nahm Raoul Platz. Anna legte ihm sofort einen Arm um die Schultern, flüsterte etwas Lustiges, und beide lachten. Caroline starrte auf ihren Teller.
»W ie geht es dir, Liebling?« Louises Stimme war besorgt und fragend. Zärtlich lehnte sie sich gegen Carolines Kopf. »Du hast doch nicht etwa vergessen, deine Tablette zu nehmen?«, flüsterte sie ihr ins Ohr, und Caroline hatte das Gefühl, als würde gleich ein schwarzes Hohngelächter aus ihrem Hals brechen. Sie schüttelte geistesabwesend den Kopf und stocherte in der Avocado herum, die ihr jemand auf den Teller gelegt hatte. Alle am Tisch unterhielten sich, aber sie verstand kein Wort. Mit dem einen oder anderen Lächeln und Kopfnicken versuchte sie sich den Anschein zu geben, an der Unterhaltung teilzunehmen.
Louise versuchte sie ins Gespräch mit einzubeziehen. »Caro will am Tschaikowsky-Wettbewerb teilnehmen.«
Caroline wurde noch unwohler.
»Nein, das will ich nicht.« Sie war selbst schockiert, als sie hörte, wie sehr ihre Stimme zitterte.
»Natürlich willst du das!«, beharrte Louise. »So viel, wie du übst, müsstest du auf einen der ersten Plätze kommen. Es ist wirklich eine intensive Zeit, wenn man versucht, sich zu lancieren. Diese Anspannung, man müht sich mit der Technik ab und ist nie zufrieden. Es ist also nicht so merkwürdig, etwas abwesend zu sein, meine Kleine. Ich verstehe, dass du in Gedanken woanders bist.«
Louise ergriff einfach für Caroline das Wort, das hatte sie immer getan, und Caroline war dankbar, sich im Schatten von Louises Engagement zu befinden.
Während Louise sprach, spürte Caroline eine Hand auf ihrem Oberschenkel.
Weitere Kostenlose Bücher