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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Begegnung im Bistro geträumt. Unsere Aufzeichnungen lagen auf dem Tisch, so daß kaum mehr Platz für die Tassen blieb. Ausgetauscht hatten wir noch nicht. Wir sprachen über das Bündnis des Erzählens. Immerhin sei es ein Bündnis , sagtest du. (Das Wort hallte durch den ganzen Traum wie ein endloses Echo.) Und wenn wir nachher tauschten, sei es, als ob wir Ringe tauschten. Ich erschrak und widersprach heftig, wobei mir die Stimme nicht richtig gehorchte. So sei es nicht gemeint gewesen, sagte ich. Eine Befreiung habe es sein sollen, nicht ein neues Band. Dein Gesicht wurde dunkel und verlor alle Konturen. Dann sei dies also ein letzter Abschied, sagtest du. Ich wollte dir erklären, daß es so nicht zu sein brauche; daß wir uns nach der befreienden Lektüre wieder würden sehen können, befreit eben. Du sahst mich an, als spräche ich eine völlig fremde Sprache. Es war fürchterlich.

    Kaum war ich aufgestanden, kam die Spedition mit den Bücherkisten aus Berlin. Erst jetzt, wo sie sich hier stapeln und etwa ein Drittel der Wohnung verstellen, wird mir bewußt, wie viele es sind. Es gab in Papas Arbeitszimmer viele Regale. Trotzdem habe ich an ihn nie als einen Mann mit vielen Büchern gedacht. Mit vielen Partituren: ja; mit vielen Büchern: nein. Er war kein homme de lettres . Er war es so wenig, daß es ausgesprochen komisch wirkt, diese Bezeichnung im Zusammenhang mit ihm auch nur zu erwähnen. Um so verblüffender ist es, wie viele Kisten da jetzt stehen. Die eine oder andere wird auch voll sein mit Büchern von Maman.
    Paßten Bücher zu Maman? Es ist verrückt: Ich weiß es nicht. Und wie ich das hinschreibe, drängt eine Empfindung ans Licht, wie ich sie hatte, als sich ihr Sarg in die Erde senkte: Was habe ich alles nicht gewußt von ihr! Wie groß ist meine Abwehr stets gewesen und wie klein mein Bemühen, ihr gerecht zu werden!
    Drei Kisten sind meine Bücher, drei weitere deine. (Wenn das denn die richtige Bezeichnung dafür ist, daß die einen in meinem, die anderen in deinem Zimmer standen.) Nein, nach Chile wolltest du deine Bücher nicht verschiffen, das hast du mit großer Bestimmtheit gesagt. Es klang beinahe heftig, und du warst danach verlegen. Als seist du dort auch nach all den Jahren nur vorläufig - etwas freilich, was eigentlich niemand wissen sollte, nicht einmal ich. Ob es mir etwas ausmachen würde, die Bücher in Verwahrung zu nehmen? Wie steif dieser Ausdruck zwischen uns klang! Als seien es nicht Bücher, die auch ich gelesen habe! Jede Seite habe doch auch ich gewendet. Dir, dem Redegewandten, fehlten in Berlin oft die richtigen Worte. Ich war froh darüber, ich fühlte mich dir dann nahe - auf eine Weise freilich, die dir nicht geläufig ist und die du nicht erkannt haben wirst. Nein, sagte ich, es würde mir nichts ausmachen, auf deine Bücher aufzupassen. Du hast gelächelt: Das war das bessere Wort.
    Und nun sind sie hier, deine Bücher. Hier in der Wohnung, die wie ein Bollwerk gegen die Vergangenheit war. Ein bißchen wirken sie wie Eindringlinge, deine drei Kisten; ein bißchen bedrängen sie mich. Es war kein Plan von dir, kein kluger Schachzug. Nicht, daß du dazu nicht fähig wärst. (In deiner Sehnsucht nach Gemeinsamkeit warst du stets so gerissen wie ein Feldherr.) Aber als die Frage mit den Büchern aufkam, warst du unvorbereitet, das könnte ich beschwören. Nein, es war kein Kalkül. Kein bewußtes.

    Es ist früher Nachmittag, ein hellgraues, nüchternes Licht liegt über Paris. Der richtige Moment, um dir davon zu erzählen. Eigentlich wollte ich es in Berlin tun, face à face . Am Abend nach der Beerdigung zum Beispiel. Jetzt waren nur noch wir übrig, da hätte es gepaßt. Doch ich fürchtete dein nachträgliches Erschrecken und das, was es in deinem Gesicht anrichten würde. Ich wollte diese Erinnerung nicht mitnehmen. Sie hätte es schlimmer gemacht, als es war.
    Ende Juli damals war meine Regel fällig. Sie blieb aus. Es kommen dabei Unregelmäßigkeiten vor, die eine oder andere hatte ich selbst schon erlebt. Deshalb habe ich den Test nicht sofort gemacht. Vor allem aber wollte ich mich auf mein Erschrecken vorbereiten, wenn es käme. Es mag sonderbar klingen, aber ich brauchte dazu einen festen Ort, an den ich jeden Tag hingehen konnte. Ich wählte den Jardin des Tuileries. Es ist der Ort, an den ich am Morgen des 15. Juli, dem ersten Morgen meines neuen Lebens, ging.
    Das war ein wolkenloser Sommermorgen, man spürte, es würde ein heißer Tag werden. Ich

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